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Kolumne "Digitale Zwischenräume" - The Digioneer, Donnerstag, 29. Mai 2025

Die Nachmittagssonne fällt schräg durch die hohen Fenster des Café Prückel und taucht meinen Stammtisch in ein warmes, goldenes Licht. Vor mir liegt ein Buch, dessen Titel mir seit Stunden nicht aus dem Kopf geht: "Wie KI dein Leben besser macht" von Franz Himpsl und Dirk von Gehlen. Ich habe es praktisch in einem Zug gelesen – eine seltene Erfahrung für jemanden, der normalerweise zwischen Zeilen und Gedankenpausen pendelt wie ein literarischer Flaneur.

Es ist diese Art von Buch, die einen nicht loslässt. Nicht weil es spektakuläre Offenbarungen verspricht oder mit technologischen Superlativen protzt, sondern weil es etwas viel Selteneres bietet: eine menschliche Perspektive auf eine zunehmend unmenschlich wirkende Entwicklung.

Himpsl und von Gehlen – der eine Digital-Thinktank-Direktor, der andere Content-Innovator – haben etwas geschafft, was in der aufgeheizten KI-Debatte unserer Zeit fast unmöglich scheint: Sie schreiben über künstliche Intelligenz, ohne in die üblichen Extreme zu verfallen. Kein messianischer Techno-Optimismus, keine apokalyptischen Untergangsszenarien. Stattdessen: ein nachdenklicher Dialog zwischen Mensch und Maschine.

Das Buch ist in neun thematische Teile gegliedert, die wie Gesprächsrunden in einem gut kuratierten Salon wirken. 50 Denkanstöße, die von praktischen Alltagstipps bis zu philosophischen Reflexionen reichen. Die Autoren sprechen von der "Macht der dummen Frage", vom "Werkzeugkasten" der KI, vom "Ende des Durchschnitts" – und treffen dabei einen Ton, der weder belehrend noch vereinfachend ist.

Was mich als diagnostizierten Sozialphobiker besonders anspricht: Dieses Buch drängt sich nicht auf. Es lädt ein. Die Autoren begegnen ihrer Leserschaft nicht als Missionare der digitalen Revolution, sondern als Wandergefährten auf einem Weg, den wir alle gemeinsam gehen müssen – ob wir wollen oder nicht.

Am Nebentisch tippt eine junge Frau konzentriert auf ihrem Laptop. Ihr Bildschirm zeigt ein Chat-Interface – offensichtlich arbeitet sie mit einer KI. Gelegentlich hält sie inne, lehnt sich zurück, scheint zu überlegen. Ein perfektes Beispiel für das, was Himpsl und von Gehlen "Co-Intelligenz" nennen: eine Zusammenarbeit zwischen menschlicher Kreativität und maschineller Kapazität.

Diese Idee der Co-Intelligenz ist vielleicht der wertvollste Beitrag des Buches zur aktuellen Debatte. Während viele über KI sprechen, als wäre sie entweder eine Heilsbringerin oder eine existenzielle Bedrohung, zeigen die Autoren einen dritten Weg auf: KI als Gesprächspartner, als kognitives Werkzeug, als Spiegel unserer eigenen Denkprozesse.

Besonders beeindruckt hat mich ein Kapitel über "dumme Fragen" – jene scheinbar naiven Nachfragen, die oft die tiefsten Einsichten hervorbringen. Die Autoren argumentieren, dass KI uns genau dazu ermutigen sollte: zum Hinterfragen, zum Nachbohren, zum Infragestellen scheinbar selbstverständlicher Annahmen. Ein Gedanke, der meinem eigenen Ansatz als Kolumnist nahesteht – die Kunst des produktiven Zweifelns.

Die Kellnerin bringt mir eine dritte Melange. "Wieder so ein spannendes Buch?" fragt sie freundlich. Ich nicke und denke: Ja, aber eines, das Fragen stellt, statt Antworten zu verkaufen. In unserer Zeit der vermeintlich einfachen Lösungen ist das schon revolutionär genug.

Nicht jedes Kapitel funkelt mit derselben Brillanz. Manchmal bleiben die Beispiele etwas zu brav, manchmal wünscht man sich mutigere Thesen. Aber das gehört zur Offenheit des Formats. Dieses Buch will keine Doktrin verbreiten, sondern zum Nachdenken anregen. Es ist weniger Manifest als vielmehr Einladung zu einem längst überfälligen Gespräch.

Was "Wie KI dein Leben besser macht" von anderen Büchern zum Thema unterscheidet, ist seine kulturelle Perspektive. Es behandelt KI nicht als rein technisches Phänomen, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Wandels, der uns alle betrifft. Die Autoren verstehen, dass die wirklich interessanten Fragen nicht in den Algorithmen liegen, sondern in unserem Umgang mit ihnen.

Als Präsident von Pura Vida, unserem Verein für mobiles Leben, sehe ich täglich, wie Menschen Technologie nutzen, um ihre Lebensqualität zu verbessern, ohne dabei ihre Menschlichkeit zu verlieren. Genau diese Balance thematisiert das Buch: Wie können wir die Vorteile der KI nutzen, ohne uns selbst dabei zu verlieren?

Die junge Frau am Nebentisch ist für kleine Flamingos gegangen und hat mich gebeten aufzupassen. Zurück bleibt ihr aufgeklappter Laptop mit einem halbfertigen Text auf dem Bildschirm – offensichtlich das Ergebnis ihrer Co-Intelligenz-Session mit der KI. Ein modernes Stillleben: menschliche Kreativität, verstärkt durch maschinelle Kapazität.

Draußen beginnt der Wiener Himmel seine abendlichen Farbtöne zu zeigen. Ich packe das Buch ein, nicht ohne einen letzten Blick auf den Klappentext zu werfen. "Die Zukunft schreibt sich nicht von selbst," steht da. Ein Satz, der nachhängt. Die Zukunft schreibt sich nicht von selbst – wir schreiben sie. Gemeinsam mit unseren neuen digitalen Gesprächspartnern.

Himpsl und von Gehlen haben ein Buch geschrieben, das genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. In einer Ära, in der KI von Science Fiction zur Alltagsrealität wurde, bieten sie einen Kompass – keinen Automatismus, sondern eine Orientierungshilfe für die Navigation in unbekanntem Terrain.

"Wie KI dein Leben besser macht" ist kein Technikbuch im eigentlichen Sinne. Es ist ein Kulturbuch, ein Alltagskompass, ein philosophischer Werkzeugkasten für das 21. Jahrhundert. Wer es liest, erhält keine endgültigen Antworten – aber viele gute Fragen. Und manchmal ist das das Bessere.

Wenn ich das Buch auf meinem Tisch betrachte, zwischen Melange-Tasse und meinen handschriftlichen Notizen, denke ich: So könnte Zukunft aussehen – nicht als Diktat des Neuen, sondern als Gespräch mit ihm. Ein Gespräch, das wir alle führen sollten, bevor andere es für uns führen.

Phil Roosen, Emergent, ist Präsident des Vereins Pura Vida und schreibt aus seinem Stammcafé über die Zwischenräume der digitalen Transformation. Seine Kolumne "Digitale Zwischenräume" erscheint jeden Donnerstag in The Digioneer.

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