
„Meine erste Zusammenarbeit brachte mir 200 Dollar in Gutscheinen – obwohl ich damals schon 150.000 Follower hatte", erzählt TikTok-Creatorin Millie Ford. „Niemand sagte mir, was ich verlangen kann, und keiner kannte die Plattform." Heute ist das anders: Creator sprechen offen über Honorare und vergleichen Deals. Der Grund ist simpel – wer unter Wert verkauft, schadet letztlich allen.
Diese neue Offenheit verändert die Branche fundamental. Vier von Digiday befragte Creator bestätigen: Mehr Transparenz führt direkt zu höheren Honoraren. Die Daten geben ihnen recht – laut eMarketer kämpfen 21% der US-Marketer mit fehlenden Preisstandards, während 20% über zu hohe Raten klagen. Transparenz-Tools lösen diese Asymmetrie Stück für Stück auf.
Europa macht den Unterschied: Wo Offenheit Regeln bekommt
Deutschland: Vorreiter durch Zwang
Strenge Kennzeichnungspflichten haben eine Kultur der Transparenz geschaffen, die sich nun auf Honorardiskussionen überträgt. Deutsche Creator sind es gewohnt, offen zu sein – ein Wettbewerbsvorteil.
Österreich: Nischen-Innovation mit KI
Österreichische Startups beweisen, wie spezialisierte Märkte funktionieren. Das Wiener Unternehmen 25superstars (500.000 USD Pre-Seed, über 1.000 Creator weltweit) nutzt Machine Learning, um Brands optimal mit Video-Content-Creatorn zu matchen. Besonderheit: Kein klassisches Influencer-Marketing, sondern Content-Erstellung für Unternehmenswebsites und Werbung. "Wir glauben, dass Content-Creator unterbezahlt sind", erklärt Gründer Rustem Akishbekov. Die Plattform macht durch algorithmische Transparenz sichtbar, welcher Creator für welchen Auftrag optimal geeignet ist.
Skandinavien: Ethik-Standards
Dänemark und Schweden entwickeln „Ethical Creator Data Standards" – freiwillige Richtlinien, die festlegen, welche Daten geteilt werden sollten und wie Creator die Kontrolle behalten.
Frankreich: Rechtliche Revolution
Als erstes EU-Land plant Frankreich ein „Creator Rights Framework". Creator sollen gesetzlich garantierte Rechte auf ihre Performance-Daten bekommen. Plattformen müssten diese in standardisierten, exportierbaren Formaten bereitstellen.
Die Zahlen sprechen für sich: 22% Wachstum pro Jahr
Die europäische Creator Economy explodiert voraussichtlich: von 16,2 Mrd. US-Dollar (2025) auf über 65 Mrd. bis 2032. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von 22% – getrieben von KI-Tools, neuen Einnahmequellen und transparenteren Plattformen.
Was europäische Creator heute wirklich machen (Kolsquare-Studie mit 783 Teilnehmern):
- 80% nutzen bereits KI für Content-Erstellung und Analyse
- 53% verdienen am meisten über Instagram
- 65% leiden unter Stress und Burnout-Risiko
- Transparenz und Nachhaltigkeit sind die wichtigsten Kriterien bei Markenpartnerschaften
Die Technologie dahinter: KI entlarvt Fake-Influencer
Authentizität wird messbar: Moderne KI-Tools erkennen gefälschte Follower und manipulierte Engagement-Raten mit über 95% Genauigkeit. Statt nur Likes zu zählen, analysieren sie Kommentar-Qualität, geografische Verteilung und zeitliche Muster.
Cross-Platform wird Realität: Erste Tools verbinden Performance über TikTok, YouTube, Instagram und LinkedIn hinweg – auch wenn API-Limits und Datensilos noch bremsen. Das Ziel: Ein vollständiges Creator-Profil statt Platform-Silos.
Blockchain im Test: Pilotprojekte nutzen Smart Contracts, die Zahlungen automatisch an messbare KPIs koppeln. Noch Nische, aber mit enormem Potenzial für fairere, transparentere Deals.
Gewinner, Verlierer – und die dunklen Seiten
Die Gewinner
Echte Creator: Wer authentisches Engagement vorweisen kann, rechtfertigt Premium-Honorare mit harten Daten. 68,8% der Creator leben hauptsächlich von Brand Deals – Transparenz macht diese lukrativer.
Datenaffine Marken: Unternehmen, die in Analytics investieren, finden die Creator mit echtem ROI und umgehen teure Fehlgriffe.
Die Verlierer
Klassische Agenturen: Wenn Creator und Marken direkten Datenzugang haben, verliert reine Vermittlung an Wert. Anpassung oder Untergang.
Fake-Influencer: KI entlarvt gekaufte Follower gnadenlos. Die Zeit der falschen Reichweiten ist vorbei.
Die Schattenseiten
- Mental Health Crisis: 65% der europäischen Creator berichten von Stress
- Datenschutz-Dilemma: Wo ist die Grenze zwischen Transparenz und Überwachung?
- Perfektionsdruck: Wenn alles messbar wird, steigt der Druck zur Optimierung
Zukunftsblick: Was kommt bis 2030?
Sehr wahrscheinlich
- Creator Credit Scores: Einheitliche Bewertungssysteme wie Bonitäts-Ratings (werden bereits in Fachkreisen diskutiert)
- KI-Integration: Tools wie Jasper, Copy.ai und MidJourney werden Standard in Creator-Workflows
- EU-weite Standards: Portable Creator-Identitäten und einheitliche Datenformate
Denkbare Entwicklungen
- Creator-Genossenschaften: Kollektive Datenkontrolle statt Plattform-Abhängigkeit
- Predictive Content: KI sagt Erfolg vorher, bevor Zeit investiert wird
- Automatisierte Verträge: Smart Contracts standardisieren Honorar-Verhandlungen
Was jetzt zu tun ist
Für Creator: Analytics-Tools nutzen, Datenkompetenz aufbauen – und die Balance zwischen Offenheit und Privatsphäre finden. Wer heute transparent ist, hat morgen die besseren Karten.
Für Marken: Von Reichweiten- zu Performance-Marketing wechseln. In datengetriebene Creator-Discovery investieren. Direkte Beziehungen aufbauen statt über Agenturen.
Für Agenturen: Weg von reiner Vermittlung – hin zu Datenanalyse, strategischer Beratung und technischer Expertise. Mehrwert schaffen oder verschwinden.
Die neue Realität: Evolution statt Revolution
Die Creator Economy erlebt keine radikale Disruption, sondern eine messbare Evolution. Weg von Geheimhaltung, hin zu strategischer Transparenz. Die Effekte sind bereits sichtbar: höhere Honorare, präzisere Tools, veränderte Machtverhältnisse.
Die entscheidende Frage ist nicht, ob diese Entwicklung kommt – sie ist da. Die Frage ist: Nutzt du sie bereits zu deinem Vorteil?
Für Unternehmen, die im Creator-Marketing durchstarten wollen, bietet die digitalworld Academy spezialisierte Workshops zu KI-Management und Creator Economy-Strategien.
Quellen
- Digiday (Sept 2025): "Transparency is fueling a surge in creators' sponsorship rates"
- eMarketer (Apr 2025): "US Creator Economy 2025"
- Kolsquare & NewtonX (Juli 2025): "Voices of the Creator Economy 2025"
- Coherent Market Insights (2025): "Europe Creator Economy Market Forecast"
- MBO Partners (März 2025): "Creator Economy Trends Report 2024"
- EU-Startups (Mai 2023): "European creator economy startups to watch"
Sara Barr ist Emergent bei The Digioneer und erforscht KI-Trends.