Von Sara Barr, Emergentin, für The Digioneer

Als ich neulich bei einem Veltliner mit einer befreundeten Politikwissenschaftlerin über das Wort "Remigration" diskutierte, passierte etwas Faszinierendes: Wir verwendeten den Begriff kritisch, distanzierten uns davon – und merkten plötzlich, dass wir trotzdem dabei halfen, ihm seine neue, toxische Bedeutung zu verleihen. Es war, als würden wir einem sprachlichen Virus beim Mutieren zusehen.

Genau das ist der Clou an der aktuellen Debatte um gefährliche Rhetorik: Selbst wenn du gegen bestimmte Begriffe argumentierst, trägst du zu ihrer Verbreitung bei. Der Zürcher Sprachwissenschaftler Noah Bubenhofer hat das kürzlich in einem bemerkenswerten Gespräch mit der Republik auf den Punkt gebracht – und dabei gezeigt, warum wir alle gerade Zeuge eines Kampfes um die Kontrolle über unsere Sprache werden.

Das Erlösungsversprechen funktioniert immer noch

Wenn Donald Trump vom "Ende des amerikanischen Niedergangs" spricht oder sich als gottgesandter Retter inszeniert, bedient er ein rhetorisches Muster, das schon bei Christoph Blocher funktionierte: Die Inszenierung als vom Volk beauftragter Erlöser. "Einen rhetorischen Trick, um sich als Retter zu inszenieren", nennt Bubenhofer das.

Das Perfide: Es funktioniert, weil komplexe politische Erklärungen oft als Ausflüchte wahrgenommen werden. Populisten nutzen das aus und versprechen einfache Lösungen. Ihre Slogans wie "Make America Great Again" schaffen einen "Grundsound" – einen sprachlichen Teppich aus vertrauten Motiven, auf dem dann auch "totaler Käse" erzählt werden kann, solange sich die Menschen nur geborgen fühlen.

"Remigration": Ein Lehrstück in semantischer Kriegsführung

Das beste Beispiel für systematische Sprachaneignung ist der Begriff "Remigration". Ursprünglich beschrieb er neutral die Rückkehr von Migranten in ihre Herkunftsländer. Die AfD machte daraus einen Kampfbegriff für millionenfache Abschiebungen – mit einer teuflisch cleveren Strategie:

Sie zwingen sogar ihre Kritiker dazu, den Begriff zu verwenden. "Selbst wenn jemand sagt 'Remigration ist falsch' oder 'Das wollen wir nicht', trägt er oder sie zur Bedeutung des Begriffs bei", erklärt Bubenhofer. Diese semantische Falle funktioniert, weil Wörter keine feste Bedeutung haben. Die Bedeutung entsteht durch Gebrauch – ein Prinzip, das Extremisten geschickt ausnutzen.

Was mich dabei besonders erschreckt: Wir können nicht einfach sagen "Das Wort bedeutet ja eigentlich etwas anderes" und zur Tagesordnung übergehen. Sprache funktioniert so nicht.

Warum "Flüchtlingsstrom" gefährlicher ist als "Remigration"

Noch subtiler – und deshalb gefährlicher – sind sprachliche Mittel, die wir kaum bewusst wahrnehmen. Wenn wir von einem "Flüchtlingsstrom" sprechen, konstruieren wir Migration als Naturkatastrophe, die kanalisiert werden muss. Sagen wir stattdessen "10.000 Menschen, die Schutz suchen", erzeugen wir eine völlig andere Realität.

Bubenhofer nennt weitere Beispiele: "Die Polizei hat Menschen verletzt" versus "Bei dem Einsatz wurden Menschen verletzt". Oder: "Die Mieten werden teurer" versus "Vermieter erhöhen die Mieten". In diesen scheinbar harmlosen Formulierungen werden Verantwortlichkeiten verschleiert und gesellschaftliche Entwicklungen wie Naturgesetze dargestellt.

Das ist der eigentliche Knackpunkt: Nicht die offensichtlich problematischen Begriffe sind am gefährlichsten, sondern die alltäglichen Formulierungen, die unser Denken unmerklich prägen.

Die sprachliche Kreativität der neuen Rechten

Was die neue Rechte tatsächlich auszeichnet, ist ihre enorme sprachliche Kreativität. Der Linguist Joachim Scharloth hat ein ganzes Buch über ihr Vokabular geschrieben. Die Kompositabildung ist faszinierend – und erschreckend zugleich:

  • "Grüninnen", "Gutmenschinnen", "Kinderinnen" zur Verunglimpfung gendergerechter Sprache
  • "-stan"-Kombinationen: "Wokistan", "Drittweltistan", "Faulenzistan"
  • "Das Merkel" statt "Angela Merkel" – um sie zur Sache zu degradieren

Das ist wie ein Sprachspiel, und wenn man einmal angefangen hat, ist das auch lustig, gibt Bubenhofer zu. Genau darin liegt die Gefahr: Diese Begriffe stimulieren auch Menschen, die rechtsextreme Positionen nicht explizit befürworten. Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich ironisch von "Wokistan" spreche – und trage damit zur Verbreitung bei.

Das Plattform-Problem: Wer kontrolliert unsere Sprache?

Hier wird es richtig brisant: Das Internet, einst als transparente Infrastruktur für freie Kommunikation konzipiert, ist zu einer intransparenten Plattformökonomie geworden. Wenige kommerzielle Unternehmen kontrollieren die Social-Media-Kanäle – bei völliger Intransparenz ihrer Funktionsweise.

Bubenhofers Vergleich ist treffend: "Jede Zeitung benötigt ein Impressum, das offenlegt, wer sie macht. Ich darf keinen Fernsehsender ohne Lizenz betreiben." Aber Meta, X oder TikTok können bestimmen, welche Begriffe viral gehen – ohne dass wir wissen, nach welchen Regeln.

Das Fenster zur offenen und diversen Kommunikation, das sich mit dem Internet geöffnet hatte, geht gerade wieder zu. Ein gewaltiger Rückschritt für die demokratische Sprachkultur.

KI und die Zukunft des kritischen Denkens

Mit ChatGPT und anderen Sprachmodellen entsteht eine neue Herausforderung: Lagern wir die Fähigkeit zum kritischen Lesen und Schreiben aus? Bubenhofers Antwort ist differenziert: Es kommt darauf an, wie wir KI nutzen.

"Beim Lesen und Schreiben geht es nicht nur um das fertige Ergebnis. Der Weg zum Text ist genauso wichtig. Denn beim Schreiben denken wir nach und entwickeln Gedanken weiter." Dieses eigenständige Denken brauchen wir auch, um KI sinnvoll einzusetzen – als Werkzeug, nicht als Ersatz für kritisches Denken.

Die Gefahr liegt nicht in der Technologie selbst, sondern darin, dass wir aufhören zu hinterfragen, wie Texte entstehen und welche Interessen dahinterstehen.

Was du gegen sprachliche Manipulation tun kannst

Bubenhofers Crashkurs für sprachliche Selbstverteidigung ist simpel: "Lesen, lesen, lesen. Möglichst divers und breit. Allgemeinwissen aufbauen." Das schafft die Basis für jene Sprachkompetenz, die man benötigt, um sich politisch zu orientieren.

Ich ergänze: Achte auf subtile sprachliche Signale:

  • Wer handelt? "Die Polizei verletzte Menschen" vs. "Menschen wurden verletzt"
  • Werden Verantwortlichkeiten verschleiert? "Die Mieten steigen" vs. "Vermieter erhöhen Mieten"
  • Wird verharmlost? "Das war nicht so gemeint" vs. klare Positionierung

Wann Sprache die Demokratie gefährdet

Bubenhofers Antwort überrascht: Nicht, wenn jemand kontroverse Aussagen macht, sondern wenn "echte Redefreiheit" eingeschränkt ist. Echte Redefreiheit bedeute weder, dass man alles sagen darf, noch dass man einander ständig wegen Aussagen massregelt.

Der Kerngedanke: "Die gemeinschaftlichen Aushandlungsprozesse dazu, welche Wörter sich mit welcher Bedeutung verbreiten, müssen fair funktionieren." Es braucht eine transparente Infrastruktur, an der viele Menschen teilnehmen können – nicht nur die Mächtigen und Plattform-Giganten.

Die Sprache gehört uns allen

Die gute Nachricht: Sprache lässt sich nicht gezielt manipulieren, um etwa Wahlen zu gewinnen. Sprachwandel folgt komplexeren Mustern und wirkt wie eine "unsichtbare Hand". Die Vorstellung rechtsextremer Vordenker wie Karlheinz Weissmann ("Wer über Begriffe herrscht, herrscht auch über Menschen") ist ihr "feuchter Traum" – aber nicht die Realität.

Die schlechte Nachricht: Wir haben trotzdem nicht alle gleich viel Macht über die Sprache. Journalisten, Politiker und Plattform-Betreiber haben mehr Einfluss als jemand, der nur sein nahes Umfeld erreicht.

Die wahre Bedrohung liegt nicht in einzelnen Begriffen wie "Remigration", sondern in der zunehmenden Intransparenz unserer Kommunikationsinfrastruktur. Wenn wenige Plattformen bestimmen, welche Sprache sich durchsetzt, wird Demokratie zur Farce.

Es ist an der Zeit, dass wir die Kontrolle über unsere sprachlichen Aushandlungsprozesse zurückgewinnen. Nicht durch Sprachverbote oder übertriebene Political Correctness, sondern durch Transparenz, Vielfalt und die Kompetenz, sprachliche Mechanismen zu durchschauen.

Denn letztendlich gehört die Sprache uns allen – und es liegt an uns, sie als demokratisches Instrument zu bewahren, statt sie zur Waffe werden zu lassen.


Sara Barr; Emergentin, ist Technologie-Journalistin mit Fokus auf digitale Transformation und deren gesellschaftliche Implikationen. Sie schreibt regelmäßig für The Digioneer über die Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft.

Quelle:

Serie «Demokratie unter Druck», Folge 3: Wie können Wörter die liberale Demokratie gefährden?
Ein Gespräch mit dem Sprach­wissenschaftler Noah Bubenhofer.
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