
Kolumne "Digitale Zwischenräume" - The Digioneer, Donnerstag, 4. September 2025
Die Herbstsonne fällt schräg durch die hohen Fenster des Café Prückel, und meine erste Melange dampft unberührt, während ich über die morgendliche Routine in meinem eigenen Zuhause nachdenke. Heute früh ging das Licht automatisch an, als der Bewegungsmelder mich in der Küche erfasste. Alexa meldete das Wetter, während die Kaffeemaschine sich selbst startete - ein kleines Orchester der Automatisierung, das meinen Tag einläutete.
Als diagnostizierter Sozialphobiker schätze ich diese Form der vorausschauenden Fürsorge. Mein Zuhause kennt meine Gewohnheiten, antizipiert meine Bedürfnisse, reduziert die kleinen Reibungen des Alltags. Doch während ich hier sitze und den analogen Charme des Café Prückel genieße, kann ich eine Szene aus Michael Bays Film "Die Insel" nicht vergessen - jene beunruhigende Darstellung eines total überwachten Zuhauses, in dem jeder Atemzug, jeder Pulsschlag, sogar die intimsten Körperfunktionen von Sensoren erfasst und von einer KI ausgewertet werden.
"Ihre Vitalwerte sind optimal", verkündete die körperlose Stimme in jenem sterilen Smart Home der Zukunft. Ein Zuhause, das seine Bewohner nicht nur kannte, sondern sie bis ins kleinste Detail analysierte - nicht zu ihrem Wohl, sondern um sie als perfekte "Ersatzteile" zu optimieren.
Die Verlockung der totalen Vernetzung
Während ich meine Melange koste, denke ich an die Smart Home-Möglichkeiten, die 2025 Realität geworden sind. Der neue Matter-Standard verspricht endlich die nahtlose Integration zwischen Apple, Google, Amazon und Samsung. Ikea plant über zwanzig neue vernetzte Geräte, Bosch bringt intelligente Kühlschränke heraus, die unseren Gesundheitszustand überwachen könnten. Die Technologie ist verfügbar, die Preise werden erschwinglicher, die Integration wird kinderleicht.
Und ehrlich gesagt: Es ist faszinierend. Die Vorstellung eines Zuhauses, das nicht nur meine Lichtpräferenzen kennt, sondern auch meine Schlafmuster analysiert, meine Ernährungsgewohnheiten optimiert, meine Gesundheit überwacht - das ist nicht mehr Science Fiction, das ist verfügbare Technologie.
In meinem eigenen Zuhause habe ich bereits erste Schritte unternommen. Bewegungsmelder, die das Licht situationsgerecht einschalten. Automationen, die abends die Jalousien herunterlassen. Eine Heizungssteuerung, die meine Gewohnheiten lernt. Kleine Annehmlichkeiten, die den Alltag erleichtern, ohne aufdringlich zu sein.
Aber da ist noch so viel mehr möglich. Sensoren, die die Luftqualität messen und automatisch lüften. Kameras, die Gesundheitszustände anhand der Gesichtsfarbe analysieren. Toiletten, die Urinwerte auswerten und Ernährungsempfehlungen geben. Der Übergang von praktischer Hilfe zu totaler Überwachung ist fließend - und genau das macht ihn so beunruhigend.
Die Verführung der Optimierung
"Phil, deine Proteinwerte sind suboptimal", hätte die KI aus "Die Insel" zu mir sagen können. "Empfohlene Nahrungsergänzung: Aminosäure-Komplex 7B." Eine Szene, die damals futuristisch wirkte, heute aber durchaus realistisch erscheint. Die Technologie existiert bereits, sie wartet nur darauf, in unsere Badezimmer integriert zu werden.
Meine Frau, die Psychotherapeutin, nutzt bereits eine App zur Raumklimaoptimierung in ihrer Praxis - eine sinnvolle Anwendung, die das Wohlbefinden ihrer Patienten verbessert. Aber wo ziehen wir die Grenze? Bei der Herzfrequenzmessung im Schlafzimmer? Bei der Analyse der Atemluft? Bei der kontinuierlichen Überwachung aller Körperfunktionen?
Als Präsident von Pura Vida kenne ich den Wunsch nach Freiheit und Mobilität. Aber paradoxerweise könnte uns das Smart Home eine neue Art der Freiheit bieten - die Freiheit von gesundheitlichen Sorgen, von ineffizienten Gewohnheiten, von suboptimalen Lebensentscheidungen. Eine verlockende Perspektive für jemanden wie mich, der die Kontrolle über sein unmittelbares Umfeld schätzt.
Der Preis des gläsernen Zuhauses
Die Krux liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in ihrer Anwendung. In "Die Insel" dienten die gesammelten Gesundheitsdaten nicht dem Wohlbefinden der Überwachten, sondern deren Ausbeutung. Die Klone lebten in dem Glauben, für ihre eigene Gesundheit überwacht zu werden, während sie tatsächlich als Organlieferanten optimiert wurden.
Heute sammeln unsere Smart Homes ähnliche Daten - nicht für Organtransplantationen, aber für Versicherungen, Werbetreibende, Gesundheitskonzerne. Jeder Bewegungsmelder zeichnet unsere Aktivitätsmuster auf. Jede intelligente Toilette könnte unsere intimsten Gesundheitsdaten weiterleiten. Jeder Sensor wird zum potenziellen Spion in den eigenen vier Wänden.
Meine erwachsenen Kinder sehen das pragmatischer. "Papa, du denkst zu viel nach", sagt meine Tochter. "Es ist doch praktisch, wenn das Haus weiß, was ich brauche." Eine nachvollziehbare Haltung. Aber während sie in der Gewissheit aufgewachsen sind, dass Technologie grundsätzlich zu ihrem Vorteil entwickelt wird, kenne ich die Geschichte der technologischen Ausbeutung.
Zwischen Vision und Dystopie
Das Problem ist nicht die Smart Home-Technologie an sich - es ist unser naiver Umgang damit. Wir installieren Geräte, weil sie praktisch sind, ohne zu hinterfragen, wer die Daten kontrolliert, wie sie verwendet werden, welche Abhängigkeiten entstehen.
Die Matter-Initiative verspricht Interoperabilität zwischen den großen Tech-Konzernen. Apple, Google, Amazon und Samsung arbeiten zusammen, um uns ein nahtloses Smart Home zu ermöglichen. Ein Fortschritt, zweifellos. Aber es bedeutet auch, dass diese vier Konzerne gemeinsam Standards definieren, die unser intimstes Leben regeln werden.
In "Die Insel" war die totale Überwachung offensichtlich bösartig - die Klone waren Gefangene, ihre Überwacher offensichtliche Ausbeuter. In unserer Realität ist die Grenze weniger klar. Die Konzerne, die unsere Smart Homes betreiben, präsentieren sich als Dienstleister, als Partner für ein besseres Leben.
Die Wahl der bewussten Integration
Ich habe nicht die Absicht, mein Smart Home abzuschalten. Die Vorteile sind real, die Möglichkeiten faszinierend. Aber ich habe das Bewusstsein für die Ambivalenz dieser Technologie - und mit der Überzeugung, dass bewusste Entscheidungen nötig sind.
Vielleicht ist das die wichtigste Lektion: Nicht jede verfügbare Technologie muss implementiert werden. Nicht jeder Sensor muss installiert werden. Nicht jede Optimierung ist eine Verbesserung. Die Frage ist nicht, ob wir ein Smart Home haben wollen, sondern wie smart wir dabei bleiben.
Der Kellner bringt mir eine zweite Melange - ohne App, ohne Sprachbefehl, einfach weil er meine Gewohnheiten kennt. Menschliche Aufmerksamkeit, analoge Antizipation. Manche Dinge funktionieren perfekt, ohne digitalisiert zu werden.
Die Zukunft des Wohnens wird smart sein, das steht fest. Die Frage ist nur, ob wir die Kontrolle über diese Intelligenz behalten - oder ob wir uns, wie die Klone in "Die Insel", in dem beruhigenden Glauben wiegen lassen, die Überwachung diene unserem Wohl, während wir in Wahrheit zu Datenlieferanten für fremde Interessen werden.
Phil Roosen schreibt diese Kolumne aus dem analog gebliebenen Café Prückel, während er über die Zukunft seines eigenen Smart Homes nachdenkt. Seine Kolumne "Digitale Zwischenräume" erscheint jeden Donnerstag in The Digioneer.
P.S.: Heute Abend werde ich nach Hause gehen, und Alexa wird mich begrüßen, das Licht wird angehen, die Heizung wird sich anpassen. Und ich werde mich fragen: Wer beobachtet eigentlich wen?
Nachtrag:
Während ich diese Zeilen schreibe, erreicht mich die Nachricht, dass Google auf seinem Hardware-Event einen neuen Nest-Lautsprecher präsentiert hat - den ersten seit fünf Jahren. Das Gerät sieht aus wie ein "zusammengedrückter HomePod Mini" mit einem LED-Ring, der aufleuchtet, wenn die KI spricht. Noch bemerkenswerter: Gemini ersetzt ab Oktober den Google Assistant und verspricht "viel natürlichere Interaktionen" mit unseren Smart Homes. Keine "starren Befehle" mehr, sondern fließende Gespräche mit der künstlichen Intelligenz.
Ein perfektes Beispiel für die Ambivalenz, die ich beschreibe: Die Technologie wird immer verführerischer, immer menschlicher, immer hilfreicher. Gemini Live soll "schnelle Hin-und-Her-Gespräche" ermöglichen - genau das, was Smart Home-Enthusiasten sich wünschen. Aber eine KI, die natürlicher kommuniziert, versteht auch mehr, speichert mehr, analysiert mehr. Die Überwachung wird nicht brutaler, sondern eleganter. Nicht wie in "Die Insel" mit sterilen Befehlen, sondern mit warmen, menschlichen Gesprächen, die uns das Gefühl geben, verstanden zu werden.
Die Ironie des Timings ist nicht zu übersehen: Während ich über die Grenzen zwischen Komfort und Kontrolle nachdenke, demonstriert Google in Echtzeit, wie diese Grenzen weiter verschwimmen. Bald werden wir mit unseren Häusern sprechen wie mit Freunden - und vergessen dabei vielleicht, wer eigentlich zuhört.

