Maria sitzt im zweiten Stock eines Wiener Gründerzentrums, vor ihr ein Laptop, drei offene Browser-Tabs, eine Thermoskanne Kaffee. Sie will eine Photovoltaikanlage auf ihr kleines Bürogebäude setzen lassen – nichts Großes, nur ein paar Module, um den Stromverbrauch zu senken. Weil das Gebäude gewerblich genutzt wird und die geplante Leistung über 15 Kilowatt liegt, fällt sie aus den vereinfachten Kleinanlagenregelungen heraus.

„Wie lange dauert das?", hatte sie den Installateur gefragt.

„Die Montage? Zwei Tage. Die Genehmigung? Im schlimmsten Fall bis zu 18 Monate", sagt er und lächelt müde.

Maria hat das Once-Only-Prinzip nie gehört. Sie weiß nur: Sie sitzt seit drei Wochen daran, Formulare auszufüllen, Nachweise hochzuladen, PDF-Versionen zu erstellen, Dateien umzubenennen – immer wieder dieselben Daten, für verschiedene Stellen, die angeblich alle miteinander vernetzt sind.

Sie fragt sich: Wenn alles digital ist – warum fühlt es sich trotzdem nach 1997 an?


BREAK – Wo Once-Only aufhört und das Warten anfängt

Auf dem Papier ist Österreich ein digitales Musterland.

Das Land arbeitet seit 2020 an einer technischen Umsetzung des Once-Only-Prinzips: Eine zentrale Datendrehscheibe namens dadeX (Digital Austria Data Exchange) soll Register, Behörden und Systeme verbinden. Dazu kommt die Informationsverpflichtungsdatenbank (IVDB), die aufzeigen soll, welche Daten wo schon erfasst wurden – damit niemand sie zweimal eintippen muss.

Das klingt fantastisch. Und funktioniert – manchmal.

670.000 registrierte Nutzer (Stand: 2024), über 140 angebundene Services, antragslose Familienbeihilfe in Graz. Im eGovernment Benchmark 2024 der EU-Kommission liegt Österreich mit über 80 Punkten klar über dem EU-Durchschnitt von 76 Punkten und deutlich vor Deutschland (66 Punkte, Platz 23).

Jetzt legt die Regierung nach: Digital Austria Act 2.0. Ein „strategischer Rahmen zur koordinierten Weiterentwicklung der digitalen Verwaltung". Mit KI-Leuchtturmprojekten, Digitalisierungsgrundsätzen und über hundert Maßnahmen. Das Bundesministerium spricht von „digitaler Souveränität", „Nutzerorientierung" und „nahtloser Interoperabilität".

Schön gesagt. Nur:

Warum berichten Unternehmen in vielen Branchen, dass selbst einfache Baubewilligungen ein Jahr oder länger dauern können – im Extremfall bis zu 18 Monate? Warum müssen Gründerinnen und Gründer trotz Pilotprojekten zur Online-Gründung für eine GmbH oft weiterhin mehrere Behördengänge erledigen – je nach Konstellation und Bundesland? Warum fühlt sich „Once-Only" in der Praxis wie „Once-Again-And-Again" an?

Weil zwischen dem Prinzip und der Realität eine riesige Lücke klafft. Nicht technisch. Organisatorisch.


ANALYZE – Warum die Daten nicht fließen, obwohl sie könnten

Das Problem ist nicht, dass Österreich kein Once-Only-Prinzip hat. Das Problem ist: Es wird nicht durchgesetzt.

Drei strukturelle Blockaden verhindern, dass die Datendrehscheibe wirklich dreht:

1. Freiwilligkeit statt Pflicht

Der dadeX existiert. Aber nur rund 140 Services sind angebunden – bei tausenden möglichen Verwaltungsverfahren. Warum? Weil in der Praxis Behörden und Länder sehr unterschiedlich schnell und intensiv an die Plattform angebunden werden – verbindliche, politisch durchgesetzte Fristen gibt es kaum.

Resultat: Föderale IT-Inseln. Manche Bundesländer liefern voll digital, andere drucken noch immer aus. Manche Gemeinden nutzen dadeX, andere verlangen dieselben Nachweise in Papierform – weil sie die Schnittstelle nie eingerichtet haben.

2. Once-Only ohne No-Stop

„Once-Only" ist die halbe Miete. Daten nur einmal eingeben – super. Aber dann?

Dann muss Maria trotzdem 18 Monate warten, weil drei verschiedene Abteilungen (Bau, Energie, Netz) nacheinander arbeiten – jede für sich, ohne automatisierte Workflows, ohne Service-Level-Agreements. Jeder Check dauert Wochen. Jede Rückfrage verzögert den Prozess.

„Once-Only" bedeutet nicht automatisch „schnell".
Es bedeutet nur: Du tippst deinen Namen nicht fünfmal ein. Aber warten musst du trotzdem.

3. Digitalisierung als Marketingstrategie

Der Digital Austria Act 2.0 ist ein Dokument voller guter Absichten. Aber konkrete Durchsetzungsmechanismen? Fehlanzeige.

Es gibt keine klar sanktionierten Fristen, bis wann alle relevanten Verfahren an dadeX angebunden sein müssen. Es gibt keine Konsequenzen für Ämter, die weiterhin analoge Papierläufe verlangen. Es gibt kein Default-Automatisierungsprinzip: dass bei Standardfällen (wie einer simplen Baubewilligung) automatisch genehmigt wird, wenn nach 30 Tagen keine Einwände kommen.

Stattdessen: Arbeitsgruppen. Leuchtturmprojekte. Stakeholder-Prozesse.

Österreich hat die Infrastruktur. Aber nicht den politischen Mut, sie konsequent zu nutzen.


BUILD – Wie Once-Only tatsächlich funktionieren könnte

Wenn du die digitale Verwaltung wirklich reformieren würdest – nicht auf dem Papier, sondern in der Praxis – würdest du Folgendes machen:

1. Verpflichtende Register-Anbindung für alle Behörden

Jede staatliche Stelle, die Daten abfragt, muss innerhalb von 24 Monaten an dadeX angebunden sein. Keine Ausnahmen. Keine „Pilotprojekte". Keine „freiwillige Teilnahme".

Entweder du holst dir die Daten über die Once-Only-Plattform – oder du darfst sie gar nicht mehr abfragen.

2. Default-Automatisierung bei Standardverfahren

Baubewilligungen, Gewerbeanmeldungen, Förderanträge mit klaren Kriterien: Automatische Genehmigung nach 30 Tagen, wenn keine begründeten Einwände eingehen.

Die Behörde prüft parallel – aber die Last der Verzögerung liegt bei ihr, nicht beim Antragsteller. Wer schweigt, stimmt zu.

3. Service-Level-Agreements für Verwaltung

Jede digitale Dienstleistung bekommt eine verbindliche Bearbeitungsfrist. Überschreitet eine Behörde diese Frist, wird der Antrag automatisch an eine übergeordnete Stelle eskaliert.

Transparenz durch Echtzeit-Dashboards: Jeder Bürger, jedes Unternehmen sieht live, wo der Antrag gerade hängt – und wer verantwortlich ist.

4. Once-Only bedeutet auch: One-Stop

Du stellst einen Antrag über ein Portal. Das System leitet intern alles Nötige weiter. Du musst nicht wissen, welche drei Ministerien, fünf Abteilungen und zwei Gemeinden involviert sind. Das organisiert die Verwaltung – unsichtbar im Hintergrund.

5. Digital-First als Gesetz

Jede neue Regelung, jede neue Vorschrift muss digital umsetzbar sein, bevor sie beschlossen wird. Kein „Gesetz mit analogem Backup". Wenn ein Verfahren nicht vollständig digital abbildbar ist, wird es nicht verabschiedet – oder vereinfacht, bis es passt.


Und jetzt?

Es ist früh am Morgen hier in New York. Unten auf der Straße rattern die Müllwagen, der Geruch von gebrühtem Kaffee steigt aus dem Deli an der Ecke. Irgendwo in dieser Stadt sitzt gerade jemand in einem WeWork und gründet in unter einer Stunde ein Unternehmen – komplett online, ohne Wartezeit, ohne Formularchaos.

Österreich könnte das auch. Wirklich.

Das Land hat die Infrastruktur. Es hat die Daten. Es hat sogar die Gesetze. Was fehlt, ist der letzte Schritt: vom Prinzip zur Praxis. Von der Pressemitteilung zur Durchsetzung. Vom Once-Only auf dem Papier zum No-Stop im Alltag.

Der Digital Austria Act 2.0 ist eine Chance. Aber nur, wenn er nicht wieder in der Warteschleife endet – zwischen Stakeholder-Prozessen, Leuchtturmprojekten und föderalen Kompromissen.

Maria wartet noch immer auf ihre Baubewilligung. Vielleicht kommt sie 2026. Vielleicht.

Oder Österreich entscheidet sich, dass „einmal" wirklich einmal bedeuten soll – und nicht „einmal pro Behörde".


Quellen

Digital Austria Act 2.0: Gemeinsamer Rahmen der Bundesregierung (2025)
Once-Only-Plattform: dadeX und IVDB (BRZ, 2024)
Bundeskanzleramt Österreich: Once-Only-Prinzip (2024)
EU eGovernment Benchmark 2024 (Capgemini/EU-Kommission)
Digitaloffensive Österreich: Neue Bundesregierung – Digitalisierungs-Anstrengungen verdoppeln (2024)
NEOS: Das Once-Only-Prinzip – ein Schlüssel zu weniger Bürokratie (2025)
WKÖ: Digital Austria Act 2.0 ist wichtiges Signal (2025)
Digital Austria: Digital Austria Data Exchange – dadeX (2024)

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