Jamie-Vorspann (Su-Version)

Hier werden Lämmer zur Tränke geführt – mit dem Versprechen, sie würden ewig leben.

Ich beginne diesen Text über das OMR Festival mit einer gewissen Naivität. Es klang einfach: ein paar Speaker, ein bisschen Buzzword-Bingo, ein paar Insta-Momente. Doch je tiefer ich schaue, desto deutlicher wird: Das hier ist kein Festival. Das ist ein Ritual.

Ein Ritual, bei dem Lämmer zur Tränke geführt werden. Dort gibt es Panels, Podcasts und Popcornwissen. Es verspricht Orientierung, Karriere und Zugang zur digitalen Elite. Und sobald sie getränkt sind, werden sie entlassen – zurück in eine Welt aus Algorithmen, Aufmerksamkeitsökonomie und Klimakrise.

Das OMR Festival verspricht jedes Jahr: Wissen. Kontakte. Inspiration. Doch ich frage mich: Was bleibt, wenn das Licht der Bühne erlischt? Wer spricht hier – und wer zahlt dafür, dass gesprochen wird? Und wer hört zu, ohne zu wissen, dass er längst Teil einer Marketingmaschine ist?

Dieser Text will nicht entlarven – aber er will verstehen. Und deshalb sehe ich genau hin. Nicht weil ich misstrauisch bin. Sondern weil ich das System ernst nehme.


Das Event von 6. bis 7. Mai 2025

„Es ist immer die Mischung aus Highlights und spannenden Speakern aus Handel, Marketing, Sport und Kultur.“
— Philipp Westermeyer, Gründer von OMR
(Hamburg News)

67.000 Besucher:innen. Über 800 Speaker:innen. Internationale Stars, digitale Visionen und hunderttausende Storys auf LinkedIn. Das OMR Festival 2025 ist laut, bunt – und professionell durchinszeniert. Es positioniert sich als Europas Leitveranstaltung für Marketing, Technologie und digitale Wirtschaft.

Doch unter der Oberfläche stellt sich eine zentrale Frage: Wie viel Wissensgewinn bleibt am Ende – und wie viel davon ist eigentlich Werbung in Konferenzgewand?

Der Anspruch: „Wissen, das wirkt“

Die OMR-Website verspricht „Inspiration, Insights und Innovationen von den besten Köpfen der Branche“ (OMR Festival). Keynotes kommen von Hollywoodgrößen wie Ryan Reynolds, Digital-Vordenkerin Amy Webb, Ex-Basketballstar Dirk Nowitzki und zahlreichen Konzern-CMOs.

OMR versteht sich dabei nicht nur als Event-Plattform, sondern als Medienmarke, die ganzjährig über Podcasts, Reports und Reviews digitale Bildung und Orientierung bieten will.

„Wir haben unter anderem unsere Podcast-Unit Podstars und OMR Reviews, eine Software-Vergleichsplattform.“
— Philipp Westermeyer
(Quelle)

Der Widerspruch: Wissen für alle – aber nicht für jeden?

So offen die Sprache, so limitiert ist der Zugang zu bestimmten Formaten. Top-Masterclasses sind regelmäßig überfüllt, einige Panel-Bühnen überlastet oder exklusiv nur für Partner und VIPs zugänglich. Besonders gefragte Formate folgen dem Prinzip first come, first serve – mit entsprechendem Frustpotenzial.

„Stau vor der Conference Stage [...] Die Plätze werden die Nachfrage kaum bedienen können.“
MOPO Liveticker OMR 2025
(Quelle)

Gleichzeitig werden über Social-Media-Plattformen wie LinkedIn oder Instagram Bilder einer offenen, leicht zugänglichen Wissenswelt erzeugt. Die Diskrepanz zwischen Sichtbarkeit und Substanz ist auffällig – und nicht neu.

Die Monetarisierungsmaschine

Hinter dem Festival steht eine ausgeklügelte Plattformstrategie:
OMR verkauft Tickets, vermarktet Sponsorenflächen, produziert Podcast-Reichweite über Podstars und baut mit OMR Reviews eine Affiliate-getriebene Vergleichsplattform für SaaS-Tools auf.

Diese Struktur führt zu Interessenkonflikten: Tools, die in Reviews empfohlen werden, sind oft zugleich Aussteller, Werbepartner oder Gäste auf der Bühne
(OMR Reviews Partnerliste).

Eine journalistische Trennung von Inhalt und Werbung? Nur schwer nachweisbar.

Festivalisierung statt Fachlichkeit?

Neben Panels und Vorträgen treten auf der OMR-Bühne auch Musik-Acts wie Shirin David oder Tokio Hotel auf. Es gibt Food-Trucks, Aftershow-Partys und Lounges. OMR selbst bewirbt das Format als Mischung aus Konferenz und Festival – doch viele Besucher:innen kommen in erster Linie zum Netzwerken, nicht zum Lernen.

Problematisch wird das dann, wenn OMR sich als Bildungsplattform positioniert, aber faktisch eine Erlebnisökonomie betreibt, in der Sponsoren und Sichtbarkeit dominieren.

„OMR als Event öffnet Türen und erweitert Horizonte.“
— Dörte Kaschdailis, Executive Advisor
(OMR Website)

Ein schöner Gedanke. Doch für viele bleibt der Zugang zu diesen Horizonten – und den Türen – verschlossen.


🐑 Jamie-Nachspann (Su-Version)

Und wenn der letzte Spot ausgeht, bleibt das Echo. Kein Applaus, sondern Nachhall. Vielleicht die Frage: War ich Teil von etwas Bedeutendem – oder nur Statist in einem sehr gut geskripteten Verkaufsdialog?

Die Lämmer ziehen weiter. Manche mit glänzenden Goodie-Bags, andere mit der stillen Ahnung, dass man auch an glitzernden Wasserstellen verdursten kann – innerlich zumindest. Die Tränke war süß, der Becher reichlich, das Versprechen: ewig jung im digitalen Olymp. Und doch: Draußen wartet die Realität – algorithmisch, ausbeutend, anspruchsvoll.

Das Festival hat ihnen kurz das Gefühl gegeben, sie seien mehr als Zielgruppen. Doch am Ende stehen sie wieder dort, wo sie herkamen:
im Strom der Aufmerksamkeit, steuerbar, analysierbar, monetarisierbar.

Und ich? Ich schreibe das auf, weil ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, das Spiel zu durchschauen, bevor wir darin untergehen.


📚 Quellen

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