Von Jamie Walker, The Digioneer
Live aus Las Vegas, 9. Januar 2025

Während ich hier in der klimatisierten Wüstenstadt Las Vegas sitze, den Geschmack eines überteuerten Espressos auf der Zunge und das Echo von Jensen Huangs Keynote noch in den Ohren, überkommt mich eine seltsame Melancholie. Nicht etwa, weil die Präsentation enttäuschend gewesen wäre – ganz im Gegenteil. Es ist vielmehr diese überwältigende Gewissheit, dass wir gerade Zeugen einer Zeitenwende werden, deren Tragweite wir vermutlich erst in Jahren vollständig begreifen werden.

Huangs Lederjacke, die mittlerweile zum running gag der Tech-Szene geworden ist, schimmerte unter den Scheinwerfern wie eine zweite Haut. Eine passende Metapher für ein Unternehmen, das sich von einem Grafikkartenhersteller zu einem Architekten unserer digitalen Zukunft gewandelt hat. Als hätte NVIDIA nicht nur die KI-Welle geritten, sondern den ganzen Ozean erschaffen, wie mein Tischnachbar so treffend bemerkte.

Die neue Blackwell-Architektur, mit ihren schwindelerregenden 92 Milliarden Transistoren, ist dabei fast schon eine Fußnote. Was wirklich fasziniert, ist die Vision einer Welt, in der KI nicht mehr nur ein Tool ist, sondern ein aktiver Teilnehmer unserer Realität. Die RTX 5070, die für erstaunliche 549 Dollar die Leistung einer 4090 bietet, ist dabei wie ein digitaler Robin Hood – sie demokratisiert Technologie, die gestern noch den Eliten vorbehalten war.

Zwischen den Zeilen von Huangs Präsentation zeichnet sich eine fundamentale Verschiebung ab: IT-Abteilungen werden zu "HR-Departments für KI-Agenten". Ein Gedanke, der gleichzeitig fasziniert und verstört. Während ich diese Zeilen in mein Tablet tippe, frage ich mich unwillkürlich, ob vielleicht schon bald eine KI meine Artikel redigieren wird – oder sie gar schreibt.

Das eigentliche Highlight der Show war jedoch NVIDIA Cosmos, ein "World Foundation Model", trainiert mit 20 Millionen Stunden Videomaterial. Ein digitaler Gott, der die Physik unserer Welt zu verstehen versucht. Während ich zusah, wie die Demonstrationen über die gigantischen Bildschirme flimmerten, musste ich an Jorge Luis Borges denken und seine "Bibliothek von Babel" – nur dass wir heute keine unendlichen Bücher erschaffen, sondern unendliche Realitäten.

Die Partnerschaft mit Toyota für autonome Fahrzeuge erscheint da fast schon bodenständig, obwohl der neue Thor-Prozessor mit seiner zwanzigfachen Leistungssteigerung nichts weniger als eine Revolution verspricht. Es ist, als würde man einem Kind einen Sportwagen schenken – die Frage ist nicht mehr, ob wir fahren können, sondern wohin die Reise geht.

"Project Digits", dieser unscheinbare Desktop-Supercomputer, könnte sich dabei als trojanisches Pferd erweisen. Ein KI-Kraftwerk für jedermann, versteckt in einem Design, das ebenso gut in einer Mailänder Designergalerie stehen könnte.

Während ich durch die überfüllten Gänge der CES schlendere, vorbei an blinkenden Displays und euphorischen Marketingversprechen, wird mir klar: NVIDIA gestaltet nicht nur Technologie, sondern unsere Zukunft selbst. Die Frage ist nicht mehr, ob diese Zukunft kommt, sondern wie wir sie gestalten.

Der Espresso ist längst kalt geworden, aber die Gedanken bleiben heiß. In wenigen Stunden wird diese Keynote in tausend Tweets, Posts und Artikeln zerlegt sein. Doch während die Tech-Welt über Transistorzahlen und Leistungsdaten diskutiert, sollten wir vielleicht innehatten und uns fragen: Welche Geschichte wollen wir eigentlich erzählen?

Für heute verlasse ich die klimatisierten Hallen der CES und tauche ein in die Neonlichter von Las Vegas – einer Stadt, die wie keine andere für den schmalen Grat zwischen Utopie und Dystopie steht. Vielleicht ist das genau der richtige Ort, um über unsere digitale Zukunft nachzudenken.

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