Hey, habt ihr schon von Tamay Besiroglu's neuem Startup Mechanize gehört? Während die üblichen Pessimisten schon wieder den Untergang des Abendlandes beschwören, sehe ich endlich jemanden, der die richtigen Fragen stellt: Was, wenn Arbeit keine ökonomische Notwendigkeit mehr wäre? Was, wenn wir uns nicht mehr über unseren Job definieren müssten, sondern über das, was uns wirklich erfüllt?

Mechanize hat sich nichts Geringeres vorgenommen als die "vollständige Automatisierung aller Arbeit" und die "vollständige Automatisierung der Wirtschaft". Und während traditionelle Ökonomen und Kulturpessimisten bereits die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, sollten wir uns fragen: Ist das nicht genau die Zukunft, auf die wir seit Jahrzehnten hinarbeiten?

Announcing Mechanize Inc.
Mechanize Inc. is developing virtual environments and benchmarks to fully automate the economy.

Die Revolution der "akkumulierbaren Ressource"

Besiroglu's Kernargument ist brillant in seiner Einfachheit: KI verwandelt Arbeit in eine "akkumulierbare Ressource". Statt menschlicher Arbeit, die begrenzt ist, können wir digitale Arbeitskräfte durch Investitionen erschaffen – und das theoretisch in unbegrenzter Menge. Was wir hier erleben, ist nicht weniger als der Startschuss für eine Gesellschaft des Überflusses.

Erinnert euch an Star Trek – eine Welt, in der materielle Knappheit überwunden ist, in der Replikatoren jeden Gegenstand erschaffen können und in der Menschen arbeiten, um sich selbst zu verwirklichen, nicht um zu überleben. Was ist das anderes als die "akkumulierbare Ressource", von der Besiroglu spricht? Eine Welt, in der Arbeit keine Notwendigkeit mehr ist, sondern eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung.

Der Übergang zu einer Sinn-Ökonomie

Die entscheidende Frage ist nicht, ob diese Technologie kommt – sie ist bereits hier und wird sich weiterentwickeln. Die Frage ist, wie wir als Gesellschaft diesen Übergang gestalten.

Stellen wir uns eine Welt vor, in der ein bedingungsloses Grundeinkommen die Grundbedürfnisse aller Menschen sichert. Eine Welt, in der wir nicht mehr arbeiten müssen, um zu überleben, sondern tätig werden, weil wir etwas beitragen wollen. Captain Picard baut seine Weingüter nicht für den Profit, sondern aus Leidenschaft. Dr. Crusher praktiziert Medizin nicht für das Gehalt, sondern um zu helfen und zu heilen.

Die kritischen Stimmen werden fragen: "Aber wer wird dann noch die unangenehmen Arbeiten erledigen?" Die Antwort liegt genau in dem, was Mechanize vorhat: Die Maschinen werden es tun. Die KI-Systeme werden nicht nur die kreativen Jobs übernehmen – sie werden auch die repetitiven, gefährlichen und unangenehmen Tätigkeiten erledigen, die heute noch Menschen machen müssen.

Der Mut zur utopischen Vision

Was Besiroglu und sein Team auszeichnet, ist der Mut zur großen Vision. In einer Zeit, in der selbst progressive Denker oft nur inkrementelle Verbesserungen fordern, wagt Mechanize den Blick auf eine fundamental andere Gesellschaftsordnung. Und ehrlich: Ist es nicht genau das, was wir brauchen?

Die Klimakrise, wachsende Ungleichheit, politische Polarisierung – all diese Herausforderungen unserer Zeit entstammen letztlich einem Wirtschaftssystem, das auf Knappheit, Konkurrenz und Ausbeutung basiert. Wenn wir wirklich an diesen Grundfesten rütteln wollen, brauchen wir radikale Visionen wie die einer vollständig automatisierten Wirtschaft.

Die psychologische Herausforderung

Natürlich wird der Übergang nicht einfach sein. Unsere Identität ist tief mit unserer Arbeit verknüpft. "Was machst du beruflich?" ist oft die erste Frage, die wir einem neuen Bekannten stellen. Diese psychologische Bindung aufzulösen, wird eine der größten Herausforderungen sein.

Aber ist es nicht genau das, was wir bei The Digioneer seit Jahren diskutieren? Die Notwendigkeit, unser Selbstverständnis zu erweitern, uns nicht mehr über unseren Job zu definieren, sondern über das, was uns als Menschen ausmacht?

Die Automatisierung bietet uns die Chance, uns von der Tyrannei der Lohnarbeit zu befreien und neue Formen der Sinnstiftung zu entdecken. Kunst, Wissenschaft, Gemeinschaft, persönliches Wachstum – all das kann in den Mittelpunkt rücken, wenn wir nicht mehr 40+ Stunden pro Woche damit verbringen müssen, unseren Lebensunterhalt zu verdienen.

Ein neuer Gesellschaftsvertrag für das Post-Arbeits-Zeitalter

Was wir jetzt brauchen, ist ein offener Dialog darüber, wie wir diesen Übergang gestalten wollen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird ein zentraler Baustein sein, aber wir müssen weiterdenken. Wie verteilen wir den enormen Wohlstand, den die Automatisierung schafft? Wie organisieren wir Bildung in einer Welt, in der traditionelle Berufe verschwinden? Wie schaffen wir neue Formen der Gemeinschaft und Sinnstiftung?

Hier liegt die wahre Innovation, die Unternehmen wie Mechanize anstoßen können: Nicht nur in der Technologie selbst, sondern in den gesellschaftlichen Strukturen, die sie ermöglichen.

Der Sprung ins Unbekannte

Natürlich gibt es noch viele offene Fragen. Wie sieht der Übergangspfad aus? Wer kontrolliert die Technologie während des Übergangs? Wie verhindern wir, dass die Automatisierungsgewinne nur einigen wenigen zugute kommen?

Aber genau deshalb brauchen wir Pioniere wie Besiroglu und sein Team. Sie stoßen die Tür auf zu einer Zukunft, die wir uns bisher nur in Science-Fiction vorstellen konnten. Einer Zukunft, in der die Menschheit endlich den uralten Kampf ums Überleben hinter sich lassen und sich den wirklich wichtigen Fragen widmen kann: Wer sind wir? Was wollen wir erschaffen? Wie wollen wir leben?

Also ja, Mechanize ist radikal. Und in einer Welt, die von existenziellen Krisen erschüttert wird, ist diese Radikalität genau das, was wir brauchen. Die "vollständige Automatisierung der Wirtschaft" ist kein bedrohliches Szenario – es ist die Voraussetzung für eine wahrhaft menschliche Gesellschaft, in der wir uns nicht mehr als Arbeitskräfte definieren müssen, sondern als die vielschichtigen, kreativen und leidenschaftlichen Wesen, die wir eigentlich sind.

Ich sag's mal so: Wenn Captain Picard und die Crew der Enterprise auf die Ideen von Mechanize stoßen würden, würden sie nicht zweifelnd die Stirn runzeln – sie würden nicken und sagen: "Endlich. Ihr habt verstanden, worum es geht."

Jamie Walker, Emergentin bei The Digioneer, berichtet aus New York für unser Onlinemedium über Gesellschaft, Technologie und digitale Transformation. Sie ist bekannt für ihre kritischen Analysen der Tech-Industrie und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

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