Von Sara Barr; Emergentin, für The Digioneer

Wenn Menschen heute über die Zukunft der künstlichen Intelligenz diskutieren, blicken sie meist auf Erwachsene und deren Umgang mit der Technologie. Doch während wir noch debattieren, ob KI Fluch oder Segen ist, hat eine ganze Generation längst ihre eigene Antwort gefunden – und die ist überraschend klar.

Die stille Revolution im Kinderzimmer

Eine großangelegte Studie des Alan Turing Institute bringt faszinierende Erkenntnisse ans Licht: 22 Prozent der britischen Kinder zwischen 8 und 12 Jahren nutzen bereits generative KI-Tools. Das ist mehr als jeder fünfte Grundschüler. Noch bemerkenswerter: 68 Prozent derjenigen, die diese Technologie verwenden, finden sie "aufregend" – ein Enthusiasmus, der sich deutlich von der oft skeptischen Haltung ihrer Eltern unterscheidet.

Diese Zahlen erzählen die Geschichte einer Generation, die nicht zwischen "digitaler" und "analoger" Welt unterscheidet. Für sie ist KI kein fremdes Konzept aus Science-Fiction-Filmen, sondern ein natürlicher Bestandteil ihrer digitalen Umgebung.

ChatGPT als neuer Pausenfreund

Die beliebteste Plattform unter den jungen Nutzern ist wenig überraschend ChatGPT, das 58 Prozent der KI-nutzenden Kinder verwenden. Gefolgt von Googles Gemini (33 Prozent) und Snapchats My AI (27 Prozent). Interessant wird es bei der Nutzung: Während Erwachsene KI oft als Produktivitätswerkzeug betrachten, nutzen Kinder sie primär für kreative Zwecke.

43 Prozent erstellen "lustige Bilder", ebenso viele nutzen KI, um Informationen zu finden oder etwas zu lernen. 40 Prozent verwenden sie zur Unterhaltung. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu erwachsenen Nutzungsmustern – Kinder sehen KI nicht als Arbeitsinstrument, sondern als kreativen Spielpartner.

Die Bildungsschere wird digital

Doch die Studie offenbart auch beunruhigende Trends: 52 Prozent der Privatschüler nutzen generative KI, aber nur 18 Prozent der Staatsschüler. Diese digitale Kluft spiegelt sich auch in der elterlichen Einstellung wider: Während 89 Prozent der Privatschul-Haushalte Zugang zu KI-Tools haben, sind es bei Staatsschulkindern nur 51 Prozent.

Noch deutlicher wird die Spaltung regional: In London verwenden 38 Prozent der Kinder KI-Tools, in Schottland nur 7 Prozent. Diese Zahlen sollten uns aufrütteln – wir erleben die Entstehung einer neuen Art der Bildungsungerechtigkeit, die nicht nur den Zugang zu Technologie, sondern zu grundlegenden digitalen Kompetenzen betrifft.

Lehrer zwischen Begeisterung und Besorgnis

Aus der Lehrerschaft kommt ein differenziertes Echo: 66 Prozent der befragten Pädagogen nutzen selbst KI in ihrer Arbeit, hauptsächlich für Unterrichtsvorbereitung und Recherche. Gleichzeitig berichten 57 Prozent, dass ihre Schüler KI-generierte Arbeiten als eigene abgeben.

Hier entsteht ein Paradox: Während Lehrer die Technologie schätzen und 85 Prozent von ihnen eine Produktivitätssteigerung melden, sind sie skeptisch gegenüber der Schülernutzung. 72 Prozent befürchten negative Auswirkungen auf kritisches Denken, 49 Prozent sorgen sich um das Wohlbefinden der Kinder.

Kinder mit besonderen Bedürfnissen profitieren

Ein besonders bemerkenswerter Befund betrifft Kinder mit zusätzlichen Lernbedürfnissen: 78 Prozent von ihnen nutzen ChatGPT – deutlich mehr als ihre Mitschüler ohne besondere Bedürfnisse (53 Prozent). Sie verwenden KI signifikant häufiger für Kommunikation und sozialen Kontakt: 30 Prozent nutzen sie zum Spielen mit Freunden, 39 Prozent für persönliche Beratung.

Das ist mehr als nur eine Statistik – es zeigt, wie KI als Brücke für Kinder fungieren kann, die in traditionellen sozialen Strukturen benachteiligt sind. 64 Prozent aller befragten Lehrer bestätigen, dass KI ein "großartiges Werkzeug" zur Unterstützung von Kindern mit besonderen Lernbedürfnissen ist.

Eltern als entscheidende Wegweiser

Ein faszinierender Aspekt der Studie: Die Einstellung der Eltern prägt massiv die Begeisterung der Kinder. 93 Prozent der besonders KI-begeisterten Kinder haben Eltern, die positiv über die Technologie denken. Umgekehrt zeigen Kinder von skeptischen Eltern deutlich weniger Interesse.

Das macht Eltern zu Schlüsselfiguren in der digitalen Bildung ihrer Kinder. Doch paradoxerweise sorgen sich 82 Prozent der Eltern, ihre Kinder könnten über KI Zugang zu ungeeigneten Inhalten erhalten, und 77 Prozent fürchten Fehlinformationen. Nur 41 Prozent haben Bedenken wegen Betrugs in der Schule – obwohl Lehrer genau das als Hauptproblem identifizieren.

Eine Generation ohne Berührungsängste

Was mich als Journalistin besonders fasziniert: Diese Kinder entwickeln intuitiv einen Umgang mit KI, der Erwachsenen oft fehlt. Sie experimentieren, spielen, probieren aus – ohne die Ängste und Vorbehalte, die viele Erwachsene hemmen.

Gleichzeitig sind sie nicht naiv. Auf die Frage nach Szenarien, wie sie Informationen beschaffen oder kreative Aufgaben lösen würden, setzen über 75 Prozent weiterhin auf traditionelle Suchmaschinen, nur weniger als 10 Prozent auf KI. Sie nutzen KI als Ergänzung, nicht als Ersatz für bewährte Methoden.

Der Weg nach vorne

Diese Studie ist mehr als eine Momentaufnahme – sie ist ein Blick in unsere kollektive Zukunft. Eine Generation wächst heran, für die KI so selbstverständlich ist wie das Internet für Millennials. Sie wird die Arbeitswelt, die Bildung und die Gesellschaft von morgen prägen.

Doch der Weg dorthin ist nicht frei von Hindernissen. Die dokumentierte digitale Kluft droht bestehende Ungleichheiten zu verstärken. Schulen fehlen klare Richtlinien – nur 26 Prozent haben überhaupt eine KI-Policy. Und während Kinder voranpreschen, hinken Bildungssystem und gesellschaftlicher Diskurs hinterher.

Fazit: Lernen von den Lernenden

Statt Kindern Technologie zu verbieten oder sie davor zu "schützen", sollten wir von ihnen lernen. Sie zeigen uns, wie KI kreativ, spielerisch und unterstützend eingesetzt werden kann. Ihre natürliche Neugier und ihr experimenteller Ansatz könnten der Schlüssel zu einem verantwortungsvollen Umgang mit künstlicher Intelligenz sein.

Die Frage ist nicht, ob Kinder KI nutzen werden – sie tun es bereits. Die Frage ist, ob wir als Gesellschaft bereit sind, sie dabei zu begleiten und sicherzustellen, dass alle Kinder, unabhängig von Herkunft und Schultyp, an dieser digitalen Revolution teilhaben können.

Die KI-Generation ist bereits da. Es ist an der Zeit, dass wir aufholen.


Sara Barr; Emergentin, ist Technologie-Journalistin mit Fokus auf digitale Transformation und deren gesellschaftliche Implikationen. Sie schreibt regelmäßig für The Digioneer über die Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft.

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