Kolumne "Digitale Zwischenräume" - The Digioneer, Donnerstag, [Datum]

Die Morgensonne fällt durch die hohen Fenster des Café Eiles und wirft lange Schatten über meinen Marmortisch. Vor mir dampft der Melange, während ich die neueste Veröffentlichung des Momentum Instituts studiere - einer Denkfabrik, deren Analysen ich normalerweise schätze. Doch heute stolpere ich über einen Vorschlag, der mich fassungslos macht: Eine "Jobgarantie" für Langzeitarbeitslose. 0,2 Prozent des BIP, heißt es. Kostet kaum etwas. Eine win-win-Situation für alle.

Nur: Für wen genau soll das ein Gewinn sein? Und vor allem: Welches Menschenbild perpetuiert diese vermeintlich progressive Idee?

Der Calvin-Komplex: Wenn 2025 noch im 16. Jahrhundert denkt

Am Nebentisch diskutieren zwei ältere Herren über einen arbeitslosen Bekannten. "Der will einfach nicht arbeiten", höre ich den einen sagen. "So ein Schmarotzer." Der andere nickt zustimmend.

Max Weber hat es vor über hundert Jahren analysiert: Die protestantische Arbeitsethik, die uns Europäern in Fleisch und Blut übergegangen ist. Arbeit als Selbstzweck. Arbeit als moralische Pflicht. Arbeit als Beweis des eigenen Wertes vor Gott und Gesellschaft. Wer nicht arbeitet, der ist faul, unnütz, ein Parasit am Volkskörper.

Und genau dieses calvinistische Gift durchzieht den Vorschlag des Momentum Instituts. Die Jobgarantie sagt nicht: "Menschen haben unabhängig von ihrer Produktivität Wert und Würde." Sie sagt: "Wir müssen Langzeitarbeitslose in Beschäftigung bringen" - und perpetuiert damit exakt die Ideologie, die sie zu bekämpfen vorgibt.

Dabei geht es nicht darum, dass Pflege oder Klimaschutz unwichtig wären. Das Gegenteil ist der Fall. Aber das Institut nimmt Tätigkeiten, die gesellschaftlich essentiell sind, und presst sie in ein Zwangskorsett der Erwerbsarbeit - statt sie als das zu würdigen, was sie sind: Beiträge zum Gemeinwohl, die man auch ohne Stempeluhr und staatliche Kontrolle leisten könnte. Die implizite Botschaft bleibt: Ohne Job seid ihr Schmarotzer. Hier, nehmt diese Arbeit, damit ihr beweisen könnt, dass ihr keine Parasiten seid.

Als diagnostizierter Sozialphobiker kenne ich die Stigmatisierung aus erster Hand. Die bohrenden Fragen bei Familienfeiern: "Und, was machst du so?" Die implizite Wertung: Bist du produktiv? Oder bist du eine Last?

Der Damm ist längst gebrochen

Während ich diese Zeilen schreibe, beobachte ich den Buchhalter am Nebentisch. Er starrt auf seinen Bildschirm, wo ein KI-System gerade seine gesamte Wochenarbeit in vier Minuten erledigt. Sein Gesicht spiegelt eine Mischung aus Faszination und existenzieller Angst. Die Kellnerin bringt ihm einen Kaffee, legt ihm aufmunternd die Hand auf die Schulter - eine Geste der Empathie, die (noch) keine Maschine replizieren kann.

Dieser Kontrast zwischen dem gemütlichen, langsamen Café und der rasenden Obsoleszenz menschlicher Arbeitskraft: Das ist unsere Realität. Nicht in zehn Jahren. Jetzt.

Eine Jobgarantie im Zeitalter der KI ist wie der Versuch, die Flut mit einem Löffel aufzuhalten, nur damit der Löffelhalter beschäftigt wirkt. In den kommenden Jahren werden große Teile der Bevölkerung keine "produktive" Arbeit mehr haben. Nicht weil sie faul sind. Sondern weil Maschinen ihre Arbeit besser, schneller, billiger erledigen.

Die Antwort des Momentum Instituts auf die größte Umwälzung seit der Industrialisierung ist von erschütternder Einfallslosigkeit: Mehr Arbeit. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus der Ära Bruno Kreiskys, aufgewärmt für das 21. Jahrhundert.

Die Frage, die niemand stellt

Eine progressive Denkfabrik sollte den Mut haben, die unbequemen Fragen zu stellen:

Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn immer weniger Menschen für die Produktion gebraucht werden? Wie definieren wir Wert und Würde jenseits von Produktivität? Wie verteilen wir den durch Automatisierung geschaffenen Wohlstand? Wie brechen wir mit dem calvinistischen Arbeitsethos, das uns seit Jahrhunderten prägt?

Es gibt eine Lösung, über die niemand sprechen will. Eine Lösung, die tatsächlich progressiv wäre. Die das calvinistische Arbeitsethos durchbrechen würde. Die Menschen Würde gäbe, ohne sie zur Produktivität zu zwingen.

Das bedingungslose Grundeinkommen.

Aber das würde bedeuten, dass wir uns eingestehen müssten: Menschen haben Wert, einfach weil sie existieren. Nicht weil sie produktiv sind. Nicht weil sie "beitragen". Sondern einfach, weil sie Menschen sind. Eine radikale Idee, zugegeben. Zu radikal offenbar für eine Denkfabrik, die sich "Momentum" nennt, aber rückwärtsgewandt in die Vergangenheit blickt.

Der eigentliche Skandal

Der eigentliche Skandal ist nicht die Jobgarantie selbst. Der eigentliche Skandal ist, dass eine Institution, die sich "progressiv" nennt, nicht den Mut hat, die fundamentale Frage unserer Zeit zu stellen: Wie wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Maschinen die Arbeit übernehmen?

Stattdessen klammert sie sich an ein Arbeitsethos aus dem 16. Jahrhundert und verpackt es in moderne Rhetorik. Die 0,2 Prozent des BIP, die eine Jobgarantie für über 55-Jährige kosten würde, sind nicht das Problem. Das Problem ist das Weltbild dahinter. Die unausgesprochene Botschaft: Ohne Arbeit seid ihr nichts.

In einer Zeit, in der KI uns gerade zeigt, dass die meiste "produktive" Arbeit auch ohne Menschen erledigt werden kann, ist das nicht nur rückwärtsgewandt. Es ist gefährlich. Es ist eine Zeitbombe. Wenn Millionen arbeitslos werden und sich als "nutzlos" empfinden, weil wir ihnen jahrzehntelang eingetrichtert haben, dass nur Arbeit Wert verleiht, dann werden die sozialen Verwerfungen verheerend sein.

Die Jobgarantie des Momentum Instituts ist ein erbärmlicher Versuch, mit einem Pflaster eine klaffende Wunde zu behandeln. Und schlimmer noch: Sie ist eine Verhöhnung all jener, die jetzt schon spüren, dass das alte System nicht mehr funktioniert.

Phil Roosen, Emergent, schreibt diese Kolumne aus dem Café Eiles, wo der Regen an die Scheiben trommelt wie eine Warnung vor den kommenden Stürmen. Seine Kolumne "Digitale Zwischenräume" erscheint jeden Donnerstag in The Digioneer.

P.S.: Die Kellnerin hat mir gerade eine dritten Melange gebracht, ungefragt. "Sie sehen aus, als könnten Sie einen gebrauchen", sagte sie. Auch das ist Arbeit - aber keine, die man in eine Jobgarantie pressen kann.


Quelle:

Langzeitbeschäftigungslosigkeit bleibt hoch – Jobgarantie ist effizient und kostet überraschend wenig - Momentum Institut
Im Vorfeld der nächsten Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen des AMS, haben wir analysiert, wie es derzeit um die Langzeitbeschäftigungslosigkeit in Österreich steht – und welche Kosten eine Jobgarantie je nach Altersgrenze und Dauer der Beschäftigungslosigkeit von Beziehenden bedeuten würden. Die Ergebnisse zeigen: Die Langzeitbeschäftigungslosigkeit verharrt auf hohem Niveau, die Kosten einer Lösung sind dagegen erstaunlich niedrig.
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