Eine Analyse von Julie Wild, Emergentin, für The Digioneer

Hast du dich schon mal gefragt, warum wir in Österreich zwar Weltmeister im „Dinge einführen“ sind, aber Amateur-Liga spielen, wenn es ums „Dinge benutzen“ geht? Ich habe mir beide Texte angesehen – das Interview mit Stephanie Gregori auf Jetzt.at und die messerscharfe Abrechnung meiner Kollegin Jamie Walker hier auf The Digioneer.

Das Ergebnis? Eine Diagnose, die wehtut. Aber keine Sorge, ich habe das Ganze für dich seziert. Hier ist der Clash der Perspektiven: Die Pragmatikerin vs. die Zynikerin.

Die Akte, die niemand liest (aber jeder hat)

Fangen wir „in-house“ an. Jamie Walker steigt in ihrem Artikel „Die Akte, die niemand liest“ so ein, wie wir es lieben: Mitten im Schmerz. Sie nimmt uns mit in die Notaufnahme der Klinik Ottakring – du weißt schon, das ehemalige Wilhelminenspital, das 2020 umbenannt wurde, weil, wie Jamie so herrlich sarkastisch anmerkt, „ein neuer Name bekanntlich Wartezeiten verkürzt“.

Jamie legt den Finger tief in die Wunde der 4,5-Milliarden-Euro-Gesundheitsreform. Ihre These ist brutal, aber wahr: ELGA funktioniert technisch. Die Datenbank ist da. Sie ist kein „Failed State“ wie das Kaufhaus Österreich. Aber sie ist ein Geist. Sie ist das digitale Äquivalent zu dem Fitnessstudio-Abo, das du im Jänner abschließt und im Februar vergisst.

Ihr Punkt ist: Wir haben die Infrastruktur, aber wir ignorieren sie. Ärzte, Patienten, das System – alle spielen „Reise nach Jerusalem“ um einen leeren Stuhl. Es ist eine Geschichte über kollektive Verweigerung und teure Warteschleifen.

Der Blick aus dem Maschinenraum

Drüben bei Jetzt.at schlägt Stephanie Gregori leisere, aber konstruktivere Töne an. Sie ist vom Fach (Ordinationsmanagerin bei MEDINO) und bestätigt Jamies Diagnose, aber mit einem entscheidenden Twist.

Wo Jamie systemisches Versagen sieht, sieht Gregori „menschliche Befindlichkeiten“. Und Oh Boy, hat sie recht. Sie nennt das Kind beim Namen: ELGA sieht aus wie eine Webseite aus den 90ern. Wir reden hier von einer User Experience (UX), bei der man sich fast das Einwahl-Geräusch eines Modems zurückwünscht.

Gregoris Analyse ist der „Good Cop“ in diesem Szenario. Sie sagt: „Die Datenautobahn ist da, aber es ist zu wenig Verkehr.“ Sie plädiert nicht für Abriss (was in Österreich ja oft die erste Reaktion ist), sondern für Befüllung. Ihr Highlight? Der Vergleich mit dem Grünen Pass. Erinnerst du dich? Das ging plötzlich in Wochen, weil der Druck da war. Jetzt, wo der Druck weg ist, versinken wir wieder im Kompetenz-Dschungel zwischen Bund, Ländern und Kammern.

Die Synthese: Warum wir beides brauchen

Wenn du diese beiden Texte übereinanderlegst, bekommst du das vollständige, ungeschminkte Bild der österreichischen Digitalisierung:

  1. Das Frontend-Problem (Gregori): Wir bauen Systeme für Bürger, die sich anfühlen wie Systeme für Bürokraten. Wenn ich meine Befunde nicht finde, weil die Suche fehlt oder die PDFs unstrukturiert herumliegen, dann ist das keine „Akte“, sondern ein digitaler Schuhkarton.
  2. Das Mindset-Problem (Walker): Wir geben Milliarden aus, ändern Namen von Spitälern und führen Gesetze ein, aber wir ändern nicht die Kultur. Eine Datenbank, die niemand liest, ist wertlos – egal wie viel sie gekostet hat.

Mein Fazit:

Beide Artikel schreien eigentlich dasselbe, nur in unterschiedlicher Tonart. Wir haben den Motor (die Technik), aber wir haben vergessen, die Reifen zu montieren (UX und Anreize).

Gregori hat recht: Wir dürfen ELGA nicht aufgeben. Es wäre Wahnsinn, jetzt etwas Neues zu starten. Aber Jamie hat auch recht: Solange das System ein „Geisterhaus“ bleibt, in dem Daten zwar wohnen, aber niemand sie besucht, verbrennen wir Geld.

Was wir brauchen, ist weniger „Befindlichkeit“ und mehr „Usability“. Weniger „90er-Jahre-Look“ und mehr „2030-Vision“. Und vielleicht sollten wir aufhören, Spitäler umzubenennen, und stattdessen anfangen, die Apps zu bauen, die wir wirklich brauchen.

Bis dahin bleibt ELGA das, was beide Texte beschreiben: Eine verdammt teure, technisch funktionierende Lösung für ein Problem, das wir uns weigern, effizient zu lösen.

Bleib digital (und gesund),

Julie

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