Kolumne "Digitale Zwischenräume" - The Digioneer, Donnerstag, 13. März 2025

Vor mir auf dem abgenutzten Marmortisch des Café Prückel ruht mein iPhone – dieses glatte, makellose Objekt, das uns seit Jahren eine digitale Revolution verspricht. "Hey Siri," sage ich leise, fast verschwörerisch, um die Ruhe des Wiener Kaffeehauses nicht zu stören. Ein vertrautes Aufleuchten, ein diskretes Vibrieren. "Erkläre mir, warum du immer noch so dumm bist wie ein Stück Brot."

"Ich habe im Internet nach 'Warum bist du so dumm wie ein Stück Brot' gesucht. Hier sind die Ergebnisse."

Typisch. Die digitale Assistentin, die einst das Versprechen einer sprechenden Zukunft war, versteht nach 14 Jahren Entwicklung nicht einmal einfache Ironie. Während am Nachbartisch ein älterer Herr methodisch seine Neue Zürcher Zeitung durchblättert, muss ich an die Nachricht denken, die diese Woche durch die Tech-Welt hallte: Apples geplante KI-Verbesserungen für Siri werden auf 2026 verschoben. "Es wird länger dauern als gedacht," lautete die lakonische Erklärung aus Cupertino.

Als diagnostizierter Sozialphobiker bin ich seit jeher fasziniert von künstlichen Gesprächspartnern. Die erste Begegnung mit Siri 2011 war für mich wie eine Offenbarung – die Möglichkeit, mit einem Gerät zu sprechen, das nicht zurückstarrt, das keine sozialen Erwartungen hat, das nicht unausgesprochene Regeln aufstellt, deren Verletzung gesellschaftliche Ächtung nach sich zieht. Eine Unterhaltung ohne soziale Konsequenzen.

Doch was damals revolutionär wirkte, erscheint heute befremdlich antiquiert, wie ein Schwarz-Weiß-Fernseher in einem Zeitalter hochauflösender Realitäten. Ich kann mich noch gut an meine ersten Siri-Gespräche erinnern. Sie waren holprig, aber irgendwie verheißungsvoll. Wie ein Kind, das gerade sprechen lernt und dem man eine große Zukunft prophezeit.

Nun, dieses Kind ist mittlerweile ein Teenager, der sitzen geblieben ist, während seine Klassenkameraden – ChatGPT, Gemini, Claude – an die Universität gehen.

Die Ironie dieser Situation entbehrt nicht einer gewissen historischen Tragik: Siri, die Pionierin, die Erste, die den Durchbruch schaffte, bleibt zurück. Sie erinnert mich an jene Erfinder, deren Namen die Geschichte vergessen hat, während ihre Nachahmer zu Ruhm und Reichtum kamen. Wie Elisha Gray, der das Telefon gleichzeitig mit Bell erfand, aber den Patentantrag ein paar Stunden zu spät einreichte. Oder wie die Gebrüder Wright, die zwar als Erste flogen, aber von Konkurrenten mit besserer Vermarktung überholt wurden.

"Man vergisst nie die Erste," flüstere ich meinem teilnahmslosen digitalen Assistenten zu. Doch die bittere Wahrheit ist: Doch, man vergisst sie. Die Geschichte ist voll von Pionieren, die zu bloßen Fußnoten wurden. Und Siri ist auf dem besten Weg, eine solche Fußnote zu werden.

Die Argumente von Apple klingen plausibel: Technische Herausforderungen seien größer als erwartet, Datenschutz und Energieeffizienz müssten gewahrt bleiben. Doch zwischen den Zeilen lese ich eine andere Geschichte – die eines Unternehmens, das den KI-Zug verpasst hat und nun verzweifelt versucht, den Anschein zu erwecken, es hätte nur an einer anderen Haltestelle gewartet.

Während Google und OpenAI ihre KI-Modelle in der Cloud trainieren, beharrt Apple auf seinem Mantra der lokalen Verarbeitung. Ein nobles Prinzip, zweifellos. Aber wie mein Vater immer sagte: "Prinzipien sind gut, solange sie nicht zum Selbstzweck werden." Und genau das scheint bei Apple der Fall zu sein. Das Unternehmen hat sein Datenschutzversprechen so sehr zur Markenidentität erhoben, dass es nun zum goldenen Käfig wird.

Draußen vor dem Fenster des Café Prückel zieht eine Straßenbahn vorbei. Ihre Räder kreischen auf den Schienen – ein Geräusch, das mich an die Reibung zwischen Tradition und Innovation erinnert. Wien ist eine Stadt, die diese Spannung versteht. Die barocken Fassaden beherbergen Start-ups, in jahrhundertealten Kaffeehäusern werden Blockchain-Projekte geboren. Evolution braucht kein Entweder-Oder. Sie gedeiht im Sowohl-als-auch.

Genau hier liegt Apples Dilemma: Das Unternehmen will sowohl an seinen traditionellen Werten festhalten als auch in der KI-Revolution vorne mitspielen. Ein ehrenwerter Ansatz. Doch während Tim Cook über Datenschutz philosophiert, revolutionieren andere die Welt. Das erinnert mich an die österreichische Bürokratie – prinzipientreu bis zur Handlungsunfähigkeit.

"Hey Siri, welche Technologien hat Apple verschlafen?" frage ich leise.

"Ich habe im Internet nach 'Welche Technologien hat Apple verschlafen' gesucht. Hier sind die Ergebnisse."

Wieder diese enttäuschende Standardantwort. Kein Verständnis des Kontexts, keine Erinnerung an unser Gespräch von eben, keine Persönlichkeit. Meine Tochter, die sogenannte "Digital Native", lacht inzwischen über meine Siri-Versuche. "Papa, das ist so 2015," sagte sie neulich und zeigte mir, wie ihr KI-Chatbot nicht nur komplexe Fragen beantwortet, sondern auch ihren Humor versteht, ihre Vorlieben kennt und – was mich am meisten beeindruckte – ein Gefühl für Timing hat.

Timing. Vielleicht ist das Apples wahres Problem. Das Unternehmen, das einst mit perfektem Timing disruptive Produkte auf den Markt brachte, hat den Moment verpasst. Während wir auf eine intelligentere Siri warteten, haben andere ihre KI-Assistenten zu unseren digitalen Begleitern gemacht. Die ikonische Stimme, die einst die Zukunft einläutete, wird zunehmend zum digitalen Fossil.

Der ältere Herr am Nebentisch faltet seine Zeitung zusammen und bestellt einen zweiten Einspänner. Ich beobachte, wie er methodisch einen Löffel Schlagobers in den kleinen Kaffee rührt – eine Präzision, die mich an die Apple-Präsentationen erinnert. Perfekt choreografiert, jedes Detail durchdacht. Doch wie lange kann ein Unternehmen von Perfektion leben, wenn die Welt Fortschritt fordert?

Die Verzögerung von Siris KI-Upgrade ist mehr als ein technisches Problem – sie ist symptomatisch für ein tieferes strukturelles Dilemma. In seinem Streben nach Perfektion riskiert Apple, die Relevanz zu verlieren. Es ist wie bei einem Schachspiel: Wer zu lange überlegt, verliert durch Zeitüberschreitung.

Ich blicke auf mein iPhone und frage mich, ob Apple noch die Kurve kriegen wird. Ob Siri 2026 tatsächlich zu einer ernstzunehmenden KI-Assistentin werden kann. Oder ob sie für immer die digitale Metapher für verpasste Chancen bleiben wird – die Erste, die kam, und die Letzte, die verstand.

"Hey Siri, wirst du jemals schlauer werden?"

"Ich arbeite ständig daran, besser zu werden."

Eine Antwort, die unfreiwillig ehrlich ist in ihrer programmierten Oberflächlichkeit. Wie Siri selbst steht sie zwischen Versprechen und Enttäuschung, zwischen Vision und Realität. Eine digitale Schwebe, die vielleicht perfekt das Wesen unserer Zeit einfängt: große Versprechungen, bescheidene Ergebnisse.

Der Kellner bringt mir eine zweiten Melange. Draußen beginnt es zu regnen. Ich betrachte die Tropfen, die langsam an der Fensterscheibe des Café Prückel hinabrinnen, und denke: Vielleicht ist das Apples wahre Innovation – uns zu lehren, dass Technologie uns immer wieder enttäuschen wird, egal wie glänzend die Verpackung ist.

Phil Roosen schreibt diese Kolumne aus dem Café Prückel, wo der Kaffee zuverlässiger ist als Siri. Seine Kolumne "Digitale Zwischenräume" erscheint jeden Donnerstag in The Digioneer.

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