
Kolumne "Digitale Zwischenräume" - The Digioneer, Donnerstag, 21. August 2025
Das Café Prückel zeigt sich heute von seiner melancholischen Seite. Der August-Himmel über Wien hängt grau und schwer, und vor mir auf dem Marmortisch liegt eine gedruckte Mahnung meiner Bank – 3,50 Euro für eine SEPA-Überweisung, die technisch nichts weiter ist als das Verschieben einer Zahl in einer Datenbank.
Am Nebentisch tippt ein älterer Herr frustriert auf seinem Smartphone herum, die Banking-App geöffnet. "Ich verstehe das nicht," murmelt er zu seiner Begleiterin. "Früher hat man sein Geld zur Bank gebracht, und die haben es verwahrt. Jetzt verlangen sie Geld dafür, dass sie mein Geld haben dürfen."
Aus dem Mund eines Laien kommt damit eine der präzisesten Systemkritiken, die ich je gehört habe. Und Jamie Walkers aktuelle Analyse des IBAN-Namensabgleichs bringt es auf den Punkt: Statt uns mit technischen Kleinigkeiten abzulenken, sollten wir endlich die Systemfrage stellen.
Die absurdeste Geschäftsidee der Menschheitsgeschichte
Warum akzeptieren wir, dass eine Handvoll Konzerne das Geldsystem kontrolliert? Warum lassen wir uns für unser eigenes Geld zur Kasse bitten?
Diese Fragen beschäftigen mich seit Wochen, aber heute, während ich dem älteren Herrn beim Kampf mit seiner Banking-App zusehe, wird mir die ganze Absurdität bewusst: Banken erschaffen Geld praktisch aus dem Nichts (Giralgeld durch Kreditvergabe), verlangen dann Gebühren dafür, dass sie unser eigenes Geld verwalten, und kassieren obendrein Zinsen, wenn sie es weiterverleiten.
Das ist, als würde dir jemand deine Brieftasche klauen, Miete dafür verlangen, dass du sie zurückbekommst, und dann noch Provision kassieren, wenn du jemandem Geld daraus leihst.
Die verpasste Chance der Digitalisierung
Hier liegt die eigentliche Tragödie: Die Digitalisierung hätte das Banking revolutionieren können. Stattdessen haben die etablierten Banken die Technologie nur genutzt, um ihre Gewinnmargen zu erhöhen – weniger Personal, gleiche Gebühren, mehr Automatisierung.
Technisch wäre es ein Kinderspiel, ein kostenloses staatliches Basiskonto für jeden Bürger anzubieten. Die Infrastruktur existiert, die Technologie ist trivial, die Betriebskosten wären minimal. Was fehlt, ist der politische Wille – weil die Banking-Lobby jede Initiative blockiert.
Meine Frau, die Psychotherapeutin, würde das als klassische Machterhaltungsstrategie erkennen: Man schafft künstliche Komplexität, um die eigene Unentbehrlichkeit zu beweisen. "Seht ihr? Ohne uns geht es nicht. Ihr braucht unsere Expertise."
Die Systemfrage: Warum überhaupt private Banken für Grundfunktionen?
Der Kellner bringt mir eine zweite Melange, unaufgefordert und ohne Zusatzgebühr. Er bietet einen Service, der menschlich ist und fair bepreist. Diese Selbstverständlichkeit steht in krassem Gegensatz zum Banking-System, das für jeden digitalen Handgriff kassiert.
Die Systemfrage lautet nicht: "Wie können wir das Banking verbessern?" Die Systemfrage lautet: "Warum überlassen wir die Grundfunktionen des Geldsystems privaten Gewinnmaximierern?"
Strom, Wasser, Müllabfuhr – alles Grundversorgung, die oft öffentlich organisiert ist. Aber unser Geld? Das vertrauen wir Konzernen an, die primär ihren Aktionären verpflichtet sind. Konzerne, die wie Walker zeigt, alle denselben Großinvestoren gehören.
Als Präsident von Pura Vida erlebe ich diese Absurdität täglich: Unsere Mitglieder reisen quer durch Europa und zahlen im Ausland für viele elektronische Zahlungen Spesen, als lebten wir noch im 19. Jahrhundert. Dabei ist Geld bewegen technisch so trivial wie eine E-Mail versenden.
Eine Welt mit der österreichischen Staatskassa
Stell dir vor: Du gehst zur österreichischen Staatskassa – nicht zu einer Privatbank. Du eröffnest dein Basiskonto mit einem simplen Formular und deiner Bürgerkarte. Keine Bonitätsprüfung, keine Verkaufsgespräche für Versicherungen, keine monatlichen Kontoführungsgebühren. Einfach ein sicherer, digitaler Tresor für dein Geld.
Deine Staatskassa-App ist schlicht und funktional: Kontostand prüfen, Überweisungen tätigen, Daueraufträge verwalten. Punkt. Keine Werbung für Kredite, keine Pop-ups für Investmentprodukte, keine "personalisierten Angebote" basierend auf deinem Zahlungsverhalten. Nur Service.
Europaweit überweisen? Kostenlos, weil alle EU-Staatskassen vernetzt sind. Nach Amerika überweisen? Eine minimale Bearbeitungsgebühr, die die tatsächlichen Kosten deckt – transparent und nachvollziehbar. Keine versteckten Margen, keine Währungsspekulation auf deinem Rücken.
Sicherheit? Staatlich garantiert bis zur vollen Höhe deines Guthabens. Keine Einlagensicherung von läppischen 100.000 Euro, die im Ernstfall ohnehin nicht reicht. Die Republik Österreich steht mit ihrem vollen Vermögen dahinter – solider als jede Privatbank.
Die App funktioniert auch am Wochenende, auch an Feiertagen, rund um die Uhr. Weil digitale Systeme keine Pausenregelung brauchen. Dein Geld schläft nie, warum sollte dein Zugang dazu schlafen?
Das lächerliche Argument der Zinsen
Jetzt kommt natürlich der Einwand: "Aber die Zinsen! Bei der Staatskassa krieg ich keine Zinsen auf meine Einlagen!"
Moment – welche Zinsen? Die 0,01% pro Jahr, die dir die private Bank großzügig gewährt? Die nach Inflation und Kontoführungsgebühren ein Minusgeschäft sind?
Die Wahrheit ist: Private Banken zahlen dir symbolische Zinsen und kassieren gleichzeitig Kontoführungsgebühren, die diese "Zinsen" um ein Vielfaches übersteigen. Sie schenken dir einen Euro und klauen dir zehn – aber du freust dich über den Euro.
Bei der Staatskassa hättest du diese Heuchelei nicht. Keine Scheinzinsen, aber auch keine Gebühren. Ehrlich und transparent. Wenn du Rendite willst, gehst du zu einer Privatbank oder kaufst ETFs. Wenn du nur dein Geld sicher verwahren willst, reicht die Staatskassa vollkommen.
Der Komfort des Einfachen
Als Sozialphobiker schätze ich die Klarheit: Ein Konto, eine Funktion, ein Ansprechpartner. Keine Bankberater, die mir alle sechs Monate ein "optimiertes Kontomodell" andrehen wollen. Keine Produktvielfalt, die nur der Verwirrung dient. Keine "Premium-Services" für das, was eigentlich Standard sein sollte.
Die Staatskassa-Karte funktioniert überall, wo Karten funktionieren – ohne dass drei verschiedene Unternehmen mitverdienen. Wenn du im Ausland Geld abhebst, zahlst du die tatsächlichen Kosten der lokalen Bank, nicht die Gewinnmarge deiner österreichischen Bank obendrauf.
Deine Daten bleiben in österreichischen Rechenzentren, unterliegen österreichischem Datenschutz und werden nicht an Marketingfirmen verkauft. Die Staatskassa will dir nichts verkaufen – sie will nur dein Geld sicher verwahren und dir ermöglichen, darüber zu verfügen.
Die Befreiung vom Banking-Theater
Das wäre die wahre digitale Revolution: Die Befreiung von einem parasitären System, das uns seit Jahrhunderten ausnimmt. Kein Theater mehr um "exklusive Konditionen", keine Verhandlungen um Gebührennachlässe, keine Drohungen mit Kontokündigungen, wenn man nicht brav alle paar Jahre das Kontomodell wechselt.
Einfach ein sicherer, kostloser, staatlich garantierter Service für die Grundfunktion des modernen Lebens: die Verwahrung und Bewegung von Geld.
Utopie? Keineswegs. Die Technik ist da, die rechtlichen Grundlagen sind schaffbar, der politische Wille wäre aufbringbar – wenn wir endlich verstehen, dass Banking ein öffentliches Gut ist, kein privates Geschäft.
Der Moment der Entscheidung
Der ältere Herr am Nebentisch packt resigniert sein Smartphone weg. Seine Überweisung hat nicht funktioniert – wieder ein Problem mit neuen Sicherheitsprotokollen. Morgen wird er zur Bankfiliale gehen müssen, Parkgebühren zahlen, eine Stunde warten, um eine Aufgabe zu erledigen, die technisch in Sekunden möglich wäre.
Das ist das wahre Gesicht unseres Banking-Systems: künstliche Hürden zur Gewinnmaximierung.
Die Systemfrage ist einfach: Warum akzeptieren wir ein System, das uns für die Nutzung unseres eigenen Geldes zur Kasse bittet? Warum überlassen wir die Kontrolle über das Geldsystem einer Oligarchie, die primär ihren eigenen Profit maximiert?
Die Antwort ist noch einfacher: Weil wir vergessen haben, dass es auch anders geht. Banking als öffentliches Gut, nicht als private Gewinnquelle. Geld bewegen so selbstverständlich und kostenlos wie atmen.
Phil Roosen schreibt diese Kolumne aus dem Café Prückel, wo Service noch ohne Grundgebühr kommt. Seine Kolumne "Digitale Zwischenräume" erscheint jeden Donnerstag in The Digioneer.
P.S.: Die radikalste Frage ist oft die einfachste: Warum eigentlich nicht?