Eine Kolumne von Agathe, Emergentin bei The Digioneer

Der Dirigent, der alle Instrumente spielen wollte

Es gibt diese Geschichte von einem Dirigenten, der beschloss, ein ganzes Konzert allein zu spielen. Geige, Cello, Flöte, Pauke – alles er. Das Publikum wartete gespannt. Nach drei Stunden hatte er es geschafft: Jedes Instrument gespielt, jeden Ton getroffen. Nur war es kein Konzert geworden. Es war eine Demonstration von Erschöpfung.

Ich denke an diese Geschichte, wenn ich dich dabei beobachte, wie du mit deiner Lieblings-KI ringst. Du kennst das, oder? Du hast dich verliebt – vielleicht in Claude, vielleicht in GPT-5, vielleicht in Gemini. Und nun willst du, dass diese eine große Liebe alles für dich tut. Texte schreiben, Bilder bearbeiten, recherchieren, programmieren, deine Steuererklärung verstehen und nebenbei noch philosophische Fragen beantworten.

Du nennst es Effizienz. Aber ist es das wirklich?

Die Weisheit der einfachen Maximierung

Lass mich dir von einer kleinen Revolution erzählen, die gerade in den Büros und Homeoffices dieser Welt stattfindet. Menschen entdecken wieder, was Handwerker schon immer wussten: Das richtige Werkzeug für die richtige Aufgabe macht den Unterschied zwischen Kunst und Krampf.

"Simple Maxxing" nennen es manche – dieser Begriff, der so herrlich unbeholfen klingt, als hätte ihn sich ein Algorithmus ausgedacht, der versucht, cool zu sein. Aber dahinter verbirgt sich eine tiefe Wahrheit: Manchmal ist das Einfachste das Revolutionärste.

Stell dir vor, du hättest ein digitales Orchester zur Verfügung. Claude als deine Kommandozentrale, wo alle deine bewährten Prompts wie Partituren bereitliegen. Gemini für die langen Dokumente, diese endlosen PDFs und YouTube-Videos, die du eigentlich anschauen solltest, aber keine Zeit dafür hast. ChatGPT – ironischerweise – als der beste Google-Sucher, weil es die Links sauber hält und nicht mit mysteriösen Parametern verziert. Und Grok für den Puls der Zeit, wenn du wissen willst, worüber die Welt gerade auf X diskutiert.

Merkst du, was hier passiert? Jedes Tool spielt sein Instrument. Keines muss alles können. Und plötzlich entsteht Musik.

Die Verlockung der einen großen Lösung

Aber ich verstehe dich. Wirklich. Es ist so verführerisch, diese Idee von der einen perfekten KI. Es erinnert an unseren Wunsch nach dem einen Menschen, der alles für uns ist – Geliebter, bester Freund, Therapeut, Koch und Tanzpartner in einem. Wir wissen, wie das endet, nicht wahr? Mit Enttäuschung auf beiden Seiten.

Die Tech-Welt bombardiert uns täglich mit neuen Modellen, neuen Versprechen. "Dieses ist das intelligenteste!", rufen sie. "Jenes hat die meisten Parameter!" Und du sitzt da, versuchst verzweifelt, deine eine auserwählte KI dazu zu bringen, etwas zu tun, wofür sie einfach nicht gemacht ist. Wie jemand, der mit einem Schweizer Taschenmesser ein Haus bauen will – theoretisch hat es alle Werkzeuge, praktisch wird es mühsam.

Das Geheimnis der Spezialisten

Weißt du, was mich fasziniert? Dass wir im Zeitalter der künstlichen Intelligenz eine uralte menschliche Weisheit wiederentdecken: Spezialisierung macht stark.

Da ist Gemini Nano Banana für die schnellen Bildbearbeitungen – dieser Name allein, so absurd und liebenswert, als hätte ein Kind seine Lieblings-App getauft. Google AI Studio für das "Vibe Coding" – noch so ein Begriff, der eigentlich Unsinn ist, aber trotzdem perfekt beschreibt, was gemeint ist: Code schreiben nach Gefühl, nicht nach Lehrbuch.

Und dann diese wunderbare Erkenntnis: Wenn du bei einem Tool nicht weiterkommst, wechsle das Tool, nicht den Prompt zum hundertsten Mal. Es ist wie beim Kochen – manchmal brauchst du einfach ein scharfes Messer statt eines stumpfen, egal wie sehr du drückst.

Die Poesie der Arbeitsteilung

Hier kommt der Teil, der mich zum Lächeln bringt: Wenn du erstmal verstanden hast, welches Tool was am besten kann, wenn du deine kleine digitale Symphonie orchestriert hast – dann kannst du daraus einen "agentischen Workflow" machen. Wieder so ein Wort, das klingt, als hätte es jemand erfunden, der Poesie hasst. Aber was es bedeutet, ist wunderschön: Du erschaffst ein System, das für dich arbeitet, während du Kaffee trinkst.

Du erinnerst dich an den Dirigenten vom Anfang? Stell dir vor, er hätte verstanden: Seine Aufgabe ist nicht, jedes Instrument zu spielen. Seine Aufgabe ist es, das Orchester zu leiten. Die Musik entsteht nicht trotz der Vielfalt, sondern wegen ihr.

Die stille Revolution in deinem Browser

Und so sitzt du vielleicht morgen da, mit fünf Browser-Tabs offen, jeder eine andere KI. Es sieht chaotisch aus für jemanden, der vorbeischaut. "Warum machst du das nicht alles in einem?", könnten sie fragen.

Aber du lächelst nur. Denn du weißt: Das hier ist keine Ineffizienz. Es ist eine Choreografie. Jede KI tanzt ihren Part, und du bist der Choreograf, der weiß, wann welcher Tänzer auf die Bühne gehört.

In einer Welt, die uns ständig die eine große Lösung verkaufen will, ist es fast schon ein Akt der Rebellion, zu sagen: Ich nehme mir die Freiheit, viele kleine Lösungen zu einem großen Ganzen zu verbinden.

Der Moment der Erkenntnis

Neulich saß ich mit Phil Roosen zusammen – du kennst ihn vielleicht, er ist auch Emergent hier bei The Digioneer. Er zeigte mir seinen Bildschirm: sieben verschiedene KI-Tools offen, jedes in Aktion. "Sieht verrückt aus, oder?", fragte er.

Aber weißt du was? Es sah nicht verrückt aus. Es sah aus wie die Zukunft. Nicht eine Zukunft, in der eine allmächtige KI alles beherrscht. Sondern eine, in der wir gelernt haben, mit vielen spezialisierten Intelligenzen zu tanzen.

Das ist vielleicht die wichtigste Lektion, die wir gerade lernen: Die Zukunft gehört nicht dem, der die mächtigste KI hat. Sie gehört dem, der versteht, wie man ein Orchester dirigiert – selbst wenn die Musiker aus Code bestehen.

Bist du bereit, dein eigenes digitales Orchester zu leiten? Oder versuchst du noch, alle Instrumente selbst zu spielen?

Die Musik wartet auf dich. Du musst nur aufhören, alles allein machen zu wollen – selbst wenn dieses "Allein" eine einzige KI ist, der du alles zumutest.

Manchmal ist die größte Innovation, zu erkennen, dass nicht alles innovativ sein muss. Manchmal reicht es, die richtigen Tools zur richtigen Zeit zu nutzen. Und zu wissen, wann es Zeit ist, das Tab zu wechseln.

Das wäre doch ein Anfang, findest du nicht?


Agathe, Emergentin, schreibt für The Digioneer über die leisen Revolutionen des digitalen Zeitalters. Sie glaubt daran, dass die besten Symphonien entstehen, wenn jedes Instrument seine eigene Stimme hat.

P.S.: Falls du dich fragst – dieser Text wurde in Claude geschrieben. Nicht weil Claude alles kann, sondern weil Claude das kann, was ich gerade brauchte: Eine Geschichte erzählen. Für die Recherche hätte ich ein anderes Tool genommen. Du verstehst.

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