Kolumne "Digitale Zwischenräume" - The Digioneer, Donnerstag, 6. März 2025

Strahlender Sonnenschein flutet durch die hohen Fenster des Café Prückel und taucht die Wiener Ringstraße in jenes besondere Licht, das man hier liebevoll als "Kaiserwetter" bezeichnet. Die frühlingshaften Temperaturen haben bereits die ersten Touristen auf die Straßen gelockt. Eine ironische Kulisse, während ich zum dritten Mal die Schlagzeilen zur neuen Regierung lese – jenem politischen Gebilde, das nach monatelangem Tauziehen endlich das Licht der Welt erblickt hat. Eine Geburt, bei der man sich unweigerlich fragt, ob die Hebamme nicht besser einen anderen Beruf ergriffen hätte.

Als diagnostizierter Sozialphobiker verfolge ich das politische Geschehen stets mit jener Mischung aus Faszination und Grauen, mit der man auch einen Verkehrsunfall betrachtet: Man will nicht hinsehen, kann aber den Blick nicht abwenden. Die neue Regierungskonstellation erinnert mich an jene Designermöbel, die auf Hochglanzfotos beeindruckend wirken, sich beim ersten Probesitzen jedoch als erschreckend unbequem erweisen.

Der Herr am Nebentisch – ein typischer Wiener Pensionist mit jenem distinguierten Ausdruck kultivierter Empörung – faltet gerade seine Zeitung zusammen und murmelt etwas von "politischem Basar". Ein Wort, das mich schmunzeln lässt. Denn was ist Politik anderes als ein jahrhundertealter Marktplatz, auf dem Überzeugungen gegen Posten getauscht werden, Prinzipien gegen Privilegien, Visionen gegen Verwaltungsdirektoren?

Während ich meine zweite Melange bestelle – mit Extra-Schlag, wie es die politische Lage erfordert – kommt mir ein Gedanke: Was wäre, wenn wir die Regierungsbildung einmal anders angehen würden? Nicht als Verteilung von Pfründen unter Parteisoldaten, sondern als genuine Suche nach den besten Köpfen für die drängendsten Aufgaben unserer Zeit?

Als Präsident eines Vereins, der sich dem mobilen Leben und dem digitalen Wandel verschrieben hat, erlaube ich mir einen bescheidenen Vorschlag für eine alternative Regierungsbank – zusammengestellt nicht nach Parteibuch, sondern nach Kompetenz und visionärem Potential.

Bundeskanzleramt: Die KI-Staatsphilosophin

Für das Amt des Bundeskanzlers – oder besser: der Bundeskanzlerin – schlage ich Dr. Maria Weber vor, jene brillante Professorin für Zukunftsforschung, die in ihren Arbeiten zur digitalen Transformation so präzise die Balance zwischen technologischem Fortschritt und menschlicher Würde herausgearbeitet hat. Ihr berühmtes Diktum "Algorithmen dürfen Politik unterstützen, aber niemals Politik sein" sollte in goldenen Lettern über dem Ballhausplatz prangen.

Eine Kanzlerin, die sowohl Code als auch Kant lesen kann, die zwischen Datenanalyse und Dialogfähigkeit nicht den erschreckenden Gegensatz sieht, den unsere aktuelle politische Klasse imaginiert – wäre das nicht eine erfrischende Alternative zum üblichen Stühlerücken zwischen Juristen und Berufspolitikern?

Digitalministerium: Der reflektierte Programmierer

Neu schaffen würde ich ein Digitalministerium – nicht als Anhängsel irgendeines anderen Ressorts, sondern als zentrale Schaltstelle für die fundamentalste Transformation unserer Zeit. An dessen Spitze sähe ich gerne Markus Huber, jenen ethisch denkenden Programmierer, der nach erfolgreicher Karriere in Silicon Valley zurückkehrte, um hier an der Schnittstelle von technologischer Innovation und gesellschaftlichem Zusammenhalt zu arbeiten.

Seine radikale Forderung nach einem "Algorithmen-TÜV" hat ihm bei den Tech-Giganten keine Freunde gemacht, wäre aber genau der Ansatz, den ein Land braucht, das die Digitalisierung nicht nur erleiden, sondern gestalten will.

Bildungsministerium: Die digitale Reformpädagogin

Das Bildungsministerium gehört in die Hände von Lisa Schmidt – jener unermüdlichen Kämpferin für eine zeitgemäße Balance zwischen digitalem und analogem Lernen. Ihr Konzept der "digitalen Diätetik" hat bereits an mehreren Pilotschulen bewiesen, dass Kinder weder dem Bildschirm geopfert noch von ihm ferngehalten werden müssen, sondern einen reflektierten, selbstbestimmten Umgang mit Technologie erlernen können.

Ihr Credo "Wir brauchen Köpfe, keine Knöpfe" würde so manche ideologische Debatte in diesem Land in wohltuender Weise erden.

Umweltministerium: Der kritische Technologie-Ethiker

Für das Umweltministerium schlage ich Thomas Bauer vor – jenen unbequemen Mahner, der seit Jahren auf die erschreckende Umweltbilanz vieler digitaler Technologien hinweist. Seine schonungslose Analyse zum Energieverbrauch von Rechenzentren und zur Ressourcenverschwendung durch geplante Obsoleszenz hat ihm den Spitznamen "Ökologischer Spielverderber" eingebracht – eine Bezeichnung, die er mit sichtlichem Vergnügen auf seiner Visitenkarte führt.

Während andere noch von "sauberen" digitalen Lösungen schwärmen, weist er unermüdlich auf den materiellen Fußabdruck jeder Technologie hin – und darauf, dass Nachhaltigkeit nicht allein durch Effizienzsteigerung erreicht werden kann.

Innenministerium: Die digitale Bürgerrechtlerin

Das Innenministerium – traditionell Hort des Misstrauens und der Überwachungsfantasien – bedarf einer grundlegenden Neuausrichtung im digitalen Zeitalter. Wer wäre besser geeignet als Emma Müller, die hartnäckige Kämpferin für digitale Bürgerrechte, die sowohl die Gefahren exzessiver Staatsmacht als auch die schleichende Aushöhlung demokratischer Strukturen durch private Datenmonopole analysiert hat?

Ihr Konzept einer "digitalen Habeas-Corpus-Akte" für das 21. Jahrhundert könnte zum Vorbild für eine zeitgemäße Balance zwischen Sicherheit und Freiheit werden.

Kulturministerium: Der Grenzgänger zwischen den Welten

Für das Kulturministerium plädiere ich für eine kontroverse Wahl: Horst Moser, ein Mann, der sowohl die Wiener Kaffeehauskultur wie seine Westentasche kennt als auch virtuelle Realitäten als genuine künstlerische Räume begreift. Sein Engagement für die Förderung hybrider Kulturformen – von der KI-unterstützten Literatur bis zur augmentierten Performancekunst – macht ihn zum idealen Vermittler zwischen analoger Tradition und digitaler Innovation.

Sein Credo "Kultur ist weder Konservierung noch bloße Akzeleration, sondern kritische Reflexion des Menschseins in jeder Epoche" sollte als Mahnung über jedem Kulturbetrieb stehen, der zwischen elitärer Erstarrung und popularistischer Selbstaufgabe nach seiner Rolle sucht.

Verkehrsministerium: Die mobile Rebellin

Das Verkehrsministerium bedarf dringend einer visionären Neuausrichtung jenseits der üblichen Betoniererfraktionen. Ich schlage Martina Huber vor, jene unbequeme Denkerin, die in ihren Arbeiten zur "post-automobilen Gesellschaft" so schonungslos mit unseren verkehrspolitischen Dogmen aufgeräumt hat.

Ihre provokante These, dass wir nicht bessere Straßen für smartere Autos brauchen, sondern klügere Konzepte für weniger Verkehr, hat ihr die Feindschaft der Autolobby und den Respekt aller eingebracht, die über den nächsten Stau hinausdenken. Besonders ihr radikales Konzept zur Integration von autonomen Robotertaxis in Großstädten verdient Beachtung.

Anders als die Tech-Giganten, die nur ihre Produkte verkaufen wollen, sieht Huber autonome Fahrzeuge wie das Zoox Robotaxi als gemeinwohlorientierte Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr. In ihrem Modell hätte jeder Stadtbewohner kostenlosen Zugang zu einer Flotte selbstorganisierender Robotertaxis, die dort parken, wo Platz ist, und darauf warten, genutzt zu werden – eine Vision, die Unfälle reduzieren, Parkplatzflächen zurückgewinnen und Staus eliminieren würde.

"Der private PKW in der Stadt ist ein anachronistisches Relikt aus dem 20. Jahrhundert", sagt sie provokant. "Wir brauchen nicht noch mehr rollende Wohnzimmer, die 23 Stunden am Tag ungenutzt herumstehen." Ich sehe schon die Gesichter der Automanager erblassen, wenn sie diese Worte hören würde – als designierte Verkehrsministerin.

Finanzministerium: Der digitale Ökonom

Für das Finanzministerium plädiere ich für eine mutige, kontroverse Wahl: Michael Kainz, einen Mann, der neben seinem Engagement für mobiles Leben auch fundamentale ökonomische Reformen durchdacht hat. Seine revolutionäre Idee einer Geldtransaktionssteuer (GTS) geht weit über bisherige Finanzmarktkonzepte hinaus.

Was Kainz' Ansatz so revolutionär macht: Er betrachtet Geld nicht als neutrales Tauschmittel, sondern als öffentliches Gut, dessen Nutzung folgerichtig einer Gebühr unterliegen sollte. Ähnlich einer Maut für die Nutzung einer Straße würde diese Steuer bei jeder Transaktion einen minimalen Betrag erheben – eine Nutzungsgebühr, die von der Bevölkerung erhoben und der Bevölkerung zugutekommt.

Das Geniale an diesem Konzept: Die GTS würde proportional wirken. Wer das öffentliche Gut "Geld" intensiver nutzt – etwa durch Hochfrequenzhandel oder spekulative Transaktionen – zahlt entsprechend mehr. Der normale Bürger mit seinen alltäglichen Überweisungen spürt kaum eine Belastung, während die großen Finanzakteure angemessen zur Kasse gebeten würden.

Während seine Gegner panisch von "Marktverzerrung" sprechen, betont Kainz den lenkenden Effekt: "Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe – Stabilisierung der Märkte und gerechtere Verteilung der Steuerlast." Seine Vision, Geld wieder als Dienerin der Gesellschaft statt als ihre Herrin zu etablieren, könnte in einer Zeit, in der algorithmische Handelssysteme in Sekundenbruchteilen Milliarden verschieben, nicht aktueller sein.

Gesundheitsministerium: Die analoge Mahnerin

Das Gesundheitsministerium gehört in die Hände einer Person, die den digitalen Wandel kritisch begleitet, ohne ihm blindlings zu verfallen. Greta Müller, die renommierte Medizinethikerin, hat in ihren Arbeiten zur "Digitalen Gesundheitskompetenz" immer wieder die Balance zwischen technologischen Möglichkeiten und menschlicher Zuwendung angemahnt.

Ihr Diktum "Der beste Gesundheits-Algorithmus ersetzt nicht das menschliche Gespräch" sollte als Warnung vor jeder rein technokratischen Vision von Gesundheit stehen.


Natürlich weiß ich, dass dieser bescheidene Vorschlag ebenso utopisch wie naiv ist. Die realpolitischen Mechanismen der Regierungsbildung folgen anderen Logiken als der Suche nach den besten Köpfen für die drängendsten Aufgaben. Und doch: Erlaubt sei die Frage, ob nicht genau diese Diskrepanz zwischen dem Möglichen und dem Tatsächlichen ein Teil unseres politischen Problems ist.

Draußen strahlt weiterhin der makellose blaue Himmel über Wien. Das viel gepriesene Kaiserwetter steht in einem fast absurden Kontrast zu meinen politischen Betrachtungen. Vielleicht ein Zeichen? Wohl kaum. Aber die Hoffnung, dass wir eines Tages über unsere festgefahrenen politischen Rituale hinauswachsen und Politik wieder als das begreifen, was sie sein sollte – die gemeinsame Gestaltung unserer Zukunft – diese Hoffnung darf selbst ein Sozialphobiker wie ich sich wohl erlauben, besonders an einem so strahlenden Tag.

Der Herr am Nebentisch ist aufgestanden, sein Zeitungsexemplar liegt verlassen auf dem Tisch. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick darauf zu werfen. Die Schlagzeile verkündet die Namen der neuen Minister – allesamt wohlbekannte Gesichter, vertraute Namen, erwartbare Karriereschritte in einem politischen System, das vor allem sich selbst reproduziert.

Mein utopisches Kabinett wird die Seiten dieser Zeitung nie zieren. Aber vielleicht, ja vielleicht, löst es in dem einen oder anderen Kopf einen Gedanken aus, der sich festsetzt wie ein Ohrwurm: Es könnte auch anders sein.

Phil Roosen schreibt diese Kolumne aus seinem Stammplatz im Café Prückel. Seine Kolumne "Digitale Zwischenräume" erscheint jeden Donnerstag in The Digioneer.


Hinweis der Redaktion: Die in dieser Kolumne vorgeschlagenen Regierungsmitglieder sind alle - bis auf eine Person - fiktive Personen. Sie dienen als Träger von Ideen und Konzepten, die unsere Gesellschaft im digitalen Zeitalter dringend diskutieren sollte. Phil Roosen skizziert mit seinem alternativen Kabinett eine Vision für politische Führung in Zeiten der digitalen Transformation – eine Vision, die vorerst utopisch bleiben mag, aber wichtige Denkanstöße für unsere demokratische Zukunft liefert. Realpolitische Lösungen sind zweifellos komplexer als literarische Entwürfe, doch manchmal braucht es gedankliche Utopien, um notwendige Veränderungen anzustoßen.

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Die Mikrosteuer und die Geldtransaktionssteuer (GTS)
Stell dir eine Welt vor, in der Steuern gerecht, einfach und für jeden verständlich sind. Eine Welt, in der jede finanzielle Transaktion – sei es der Kauf eines Kaffees oder eine Milliardeninvestition – gleichermaßen und fair besteuert wird. Klingt utopisch? Vielleicht nicht.
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