Kolumne "Digitale Zwischenräume" - The Digioneer, Donnerstag, 23. Januar 2025

Während ich meine morgendlichen Melange im Café Prückel schlürfe, flimmert die Nachricht über meinen Bildschirm: "Trump kündigt 500-Milliarden-Dollar-KI-Projekt an". Sam Altman, Masayoshi Son und Larry Ellison – drei Titanen der Tech-Welt – versammelt im Weißen Haus, um das "größte KI-Infrastrukturprojekt der Geschichte" anzukündigen. "Stargate" sollen sie es nennen, als hätten die Marketing-Strategen ihre Science-Fiction-Hausaufgaben besonders gewissenhaft gemacht.

Am Nebentisch diskutiert eine Gruppe amerikanischer Touristen lautstark über Trumps Heilsversprechen – wie KI bald den Krebs besiegen, Alzheimer heilen und das menschliche Altern aufhalten soll. Ihre Euphorie kontrastiert merkwürdig mit der gestrigen Nachricht über Trumps Aufhebung von Bidens KI-Regulierungen aus 2023 – jenen Regularien, die zumindest versuchten, ethische Leitplanken für die KI-Entwicklung zu definieren.

Bidens aufgehobene Executive Order hatte versucht, grundlegende Fragen zu klären: Wer haftet, wenn KI-Systeme Fehler machen? Wie transparent müssen Algorithmen sein? Welche Grenzen braucht künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen? Fragen, die nun der "Dynamik des freien Marktes" überlassen werden – als ob der Markt jemals ein besonders guter Ethiklehrer gewesen wäre.

Als diagnostizierter Sozialphobiker finde ich es bemerkenswert, wie selbstverständlich wir massive Rechenzentren als Lösung für gesellschaftliche Herausforderungen akzeptieren. Eine Million Quadratfuß allein in Texas, 100.000 neue Arbeitsplätze – Zahlen, die so gewaltig sind, dass sie fast bedeutungslos werden. Während wir hier in Wien noch darüber diskutieren, ob KI-generierte Texte im Schulunterricht erlaubt sein sollten, plant man in den USA bereits die digitale Infrastruktur eines neuen Imperiums.

Die Ironie entgeht mir nicht: Ein Projekt, das uns angeblich vor chinesischer KI-Dominanz schützen soll, wird maßgeblich von SoftBank finanziert – einem Unternehmen, das tief in asiatische Technologiemärkte verstrickt ist. Gleichzeitig verspricht man uns die Heilung aller Krankheiten, als wäre KI der digitale Messias, auf den die Menschheit gewartet hat.

Als Präsident der "Pura Vida"-Bewegung, die sich der Entschleunigung verschrieben hat, sehe ich in dieser Entwicklung eine gefährliche Beschleunigung. Wir rasen mit Vollgas in eine Zukunft, deren ethische Landkarte wir gerade zerrissen haben. Die Börsen sind im Rausch, die Tech-Giganten reiben sich die Hände, und zwischen den Zeilen der Pressemitteilungen lese ich eine beunruhigende Botschaft: Die Zeit der Reflexion ist vorbei, jetzt regiert die Geschwindigkeit.

Draußen zieht eine Straßenbahn vorbei, ihre Räder kreischen. Ein vertrautes, analoges Geräusch in einer zunehmend digitalen Welt. Ich frage mich, wie viele Rechenzentren man für 500 Milliarden Dollar bauen kann. Wie viele Server es braucht, um unsere kollektiven Träume und Ängste zu speichern. Ob irgendwo in diesen endlosen Korridoren aus Serverschränken auch ein Algorithmus läuft, der versteht, warum wir Menschen uns so bereitwillig einer Technologie unterwerfen, die wir kaum begreifen.

Die amerikanischen Touristen zahlen und gehen, ihre Begeisterung hallt noch nach. Ihre Euphorie ist verständlich – wer würde nicht an einen technologischen Heilsbringer glauben wollen? Als Sozialphobiker kenne ich die Sehnsucht nach technischen Lösungen für menschliche Probleme nur zu gut. Aber ich weiß auch, dass manche Wunden nicht von Algorithmen geheilt werden können.

Der Kellner räumt die leeren Tassen ab. Seine Bewegungen haben eine natürliche Eleganz, die keine KI je wird replizieren können. Vielleicht liegt genau darin die größte Ironie: In unserem Streben nach digitaler Perfektion verlieren wir möglicherweise genau das, was uns menschlich macht – die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, die Kunst der Empathie, die Weisheit der Unvollkommenheit.

Phil Roosen beobachtet die digitale Transformation von seinem Stammplatz im Café Prückel aus. Seine Kolumne "Digitale Zwischenräume" erscheint jeden Donnerstag in The Digioneer.

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