Manchmal kommt das Ende einer Ära ganz leise daher. Kein großer Knall, keine revolutionären Ankündigungen – nur eine sachliche Mitteilung der internationalen Standardisierungsorganisation GS1: Der gute alte Strichcode, der seit einem halben Jahrhundert unsere Einkäufe begleitet, geht in Rente. An seine Stelle tritt der QR-Code, sein quadratischer, datenreicherer Nachfolger. Eine simple Nachricht? Mitnichten. Denn dieser Generationenwechsel markiert einen fundamentalen Umbruch in der Art, wie wir mit Produkten und ihren Daten umgehen.

Von Kaugummi zur digitalen Revolution

Die Geschichte beginnt 1974 mit einem Päckchen Juicy Fruit Kaugummi in Ohio. Es war das erste Produkt, das je an einer Supermarktkasse gescannt wurde. Was damals revolutionär war, erscheint uns heute alltäglich: schwarze Streifen auf weißem Grund, die Produkte eindeutig identifizierbar machen.

Dabei hat der Barcode in seiner Geschichte sogar eine kuriose esoterische Episode durchlebt: Noch 2013 verkauften Bio-Hersteller wie Sonnentor ihre Produkte mit durchgestrichenen Barcodes - als vermeintlichen Schutz vor "negativer Strahlung". Pendel und spezielle "Anti-Strahlen-Stifte" wurden bemüht, um die angeblich gesundheitsschädliche Wirkung der schwarzen Striche zu neutralisieren. Doch nun, ein halbes Jahrhundert nach seiner Einführung, reicht diese simple Identifikation nicht mehr aus - ganz ohne esoterische Bedenken.

Der Countdown läuft: Bis Ende 2027 sollen Einzelhändler weltweit auf QR-Codes umstellen. Das klingt zunächst nach einer weiteren technischen Evolution – doch die Auswirkungen werden tiefgreifender sein als viele vermuten.

Mehr als nur ein neues Symbol

Der Unterschied zwischen Barcode und QR-Code ist vergleichbar mit dem Sprung vom Telefonbuch zum Smartphone: Während der klassische Barcode nur eine Produktnummer speichert, können QR-Codes ganze Datensätze transportieren. Haltbarkeitsdaten, Allergenwarnungen, Herkunftsnachweise, Recyclinginformationen – all das wird direkt am Produkt verfügbar sein.

Die ersten Praxisbeispiele sind vielversprechend: Die australische Supermarktkette Woolworths konnte ihre Lebensmittelabfälle in bestimmten Bereichen um bis zu 40 Prozent reduzieren. Wie? Durch dynamische Preisanpassungen bei Produkten, deren Haltbarkeitsdatum näher rückt. Der britische Einzelhandelsriese Tesco experimentiert bereits erfolgreich mit der Technologie bei verderblichen Waren.

Die dunkle Seite der Datenflut

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Die erweiterte Funktionalität der QR-Codes erfordert massive Cloud-Computing-Kapazitäten. Jeder Scan erzeugt Daten, die gespeichert und verarbeitet werden müssen. Das wirft kritische Fragen auf: Wer hat Zugriff auf diese Informationen? Wie werden sie geschützt? Und welche Rückschlüsse lassen sich aus unserem Einkaufsverhalten ziehen?

Auch die Investitionskosten sind beträchtlich. Einzelhändler müssen ihre Kassensysteme komplett modernisieren – ein finanzieller Kraftakt, der besonders kleine Geschäfte vor Herausforderungen stellt. Die Gefahr: Eine weitere Konzentration im Einzelhandel, da nur große Ketten diese Umstellung problemlos stemmen können.

Zwischen Innovation und Pragmatismus

Es wäre jedoch falsch, den klassischen Barcode vorschnell zu Grabe zu tragen. Steven Gibbons von Electronic Reading Systems macht einen wichtigen Punkt: Nicht alle Produkte benötigen die erweiterten Funktionen eines QR-Codes. Eine Kerze hat kein Verfallsdatum, ein Bleistift keine Allergenwarnungen.

In der Lagerhaltung und Produktion, wo etablierte Prozesse auf dem simplen Strichcode basieren, wird die klassische Variante vermutlich noch lange überleben. Eine pragmatische Koexistenz beider Systeme erscheint wahrscheinlich – und sinnvoll.

Sara liebt die digitale Transformation - kennt aber auch die Risiken. darüber schreibt sie gerne
Technologie ist wie ein breiter Fluss – die wahren Hürden sind die Dämme, die wir selbst errichten.

Eine notwendige Evolution

Der Abschied vom klassischen Barcode ist mehr als ein technologischer Generationenwechsel. Er symbolisiert den Übergang zu einer datengetriebenen Handelswelt, in der Transparenz und Effizienz neue Dimensionen erreichen. Die Herausforderung wird sein, diese Transformation so zu gestalten, dass sie nicht nur der Wirtschaftlichkeit dient, sondern auch gesellschaftlichen Mehrwert schafft.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell sich Verbraucher an neue Technologien gewöhnen können – QR-Codes auf Speisekarten sind heute selbstverständlich. Vielleicht werden wir in einigen Jahren ähnlich nostalgisch auf den Strichcode zurückblicken wie heute auf die mechanische Registrierkasse. Die eigentliche Frage ist nicht, ob diese Veränderung kommt, sondern wie wir sie gestalten.

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