Die Debatte um den Fokus der Klimapolitik – ob eine reine Konzentration auf CO2-Reduktion oder eine Einbettung in ein gesamtgesellschaftliches Transformationskonzept – wird in einer Studie von Fergus Green und Noel Healy im Fachjournal One Earth diskutiert. Sie hinterfragen die Effektivität einer engen CO2-zentrierten Sichtweise, wie sie von Kritikern wie dem Klimawissenschaftler Michael Mann vertreten wird, der befürchtet, eine breitere Agenda könnte potenzielle Unterstützer abschrecken.
Die Studie argumentiert, dass soziale und ökonomische Ungleichheiten direkt zu erhöhten CO2-Emissionen beitragen, indem sie den Konsum und die Produktion beeinflussen. Zusätzlich sabotieren wohlhabende Eliten häufig Klimaschutzmaßnahmen und verringern die öffentliche Unterstützung für derartige Initiativen. Green und Healy schlussfolgern, dass eine umfassende Dekarbonisierung wahrscheinlicher in einem breiter angelegten Kontext von sozialen und wirtschaftlichen Reformen zu erreichen ist.
Wie soziale und ökonomische Ungleichheiten den Klimawandel vorantreiben
Im Kern dieser Diskussion steht der „Green New Deal“, ein Konzept, das über die CO2-Reduktion hinausgeht und eine umfassende Transformation der Wirtschaft anvisiert. Ein Green New Deal umfasst staatliche Investitionen, Gesetze, Regulierungen und die Unterstützung von Innovationen zur Förderung öffentlicher Güter und Dienstleistungen. Ziel ist es, ökonomische Ungleichheiten zu reduzieren und die Grundbedürfnisse aller Menschen zu erfüllen. Darüber hinaus beabsichtigt ein Green New Deal, die Folgen von Diskriminierung zu beheben und eine gesellschaftliche Bewegung zu schaffen, die sowohl auf aktiven Teilnehmern als auch auf breiter Zustimmung basiert. Der vollständige Artikel von Green und Healy, der diese Themen vertieft, ist über den folgenden Link zugänglich.
https://www.cell.com/one-earth/fulltext/S2590-3322(22)00220-2#secsectitle0010
Das Verständnis, dass der Klimawandel soziale und ökonomische Ungleichheiten verschärft, ist in der Klimaschutz-Community bekannt. Jedoch wird die umgekehrte Wirkungsrichtung – wie Ungleichheiten den Klimawandel vorantreiben – weniger beachtet. In ihrer Analyse identifizieren Fergus Green und Noel Healy zehn Mechanismen, die durch soziale und ökonomische Ungleichheiten den Klimawandel fördern, und teilen diese in fünf Gruppen auf.
Zum einen führen hohe Einkommen zu gesteigertem Konsum und damit zu einer Zunahme von Treibhausgasemissionen. Emissionen der reichsten 10 Prozent machen einen erheblichen Teil der globalen Emissionen aus. Gleichzeitig provoziert der Konsum der Reichen auch die weniger Wohlhabenden, ihren Status durch erhöhten Konsum zu verbessern, was wiederum die Emissionen steigert.
Die Produktionsentscheidungen, die durch eine kleine, vermögende und überwiegend weiße männliche Elite getroffen werden, beeinflussen ebenfalls die Emissionen. Ihre Investitionen bestimmen, was und wie produziert wird, und häufig stehen dabei kurzfristige Gewinne über Umweltbelangen.
Eine kleine, vermögende und überwiegend weiße männliche Elite beeinflussen die Emissionen
Eine "Politik der Angst" vor Arbeitsplatzverlusten durch Klimaschutzmaßnahmen schwächt die öffentliche Unterstützung für die Dekarbonisierung. CO2-Preissteigerungen und Reformen von Energie- und Transportpreisen können Ablehnung hervorrufen, besonders in den weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten und in Regionen mit CO2-intensiver Industrie.
Der Mangel an finanziellen Mitteln verhindert bei Menschen mit geringerem Einkommen Investitionen in energieeffiziente oder CO2-arme Produkte. Des Weiteren können rein CO2-fokussierte Politikansätze direkten Widerstand provozieren, wie die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich gezeigt hat.
Die Spaltung der Gesellschaft durch ökonomische und soziale Ungleichheiten verhindert die notwendige Zusammenarbeit
Zu guter Letzt beeinträchtigt hohe ökonomische Ungleichheit das soziale und politische Vertrauen, was wiederum die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen reduziert. Die Spaltung der Gesellschaft durch ökonomische und soziale Ungleichheiten verhindert die notwendige Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen für eine rasche Dekarbonisierung.
Green und Healy folgern, dass die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und eine gerechtere Verteilung der materiellen Ressourcen wesentlich sind, um eine breite soziale Bewegung für den Klimaschutz zu schaffen. Dabei ist es nicht nur die Verteilung materieller Güter, die zählt, sondern auch die gegenseitige Anerkennung, die es Menschen ermöglicht, sich als Teil eines gemeinsamen Projekts zu sehen.
Hohe Einkommen, Einkommensungleichheit und extremer Reichtum führen zu einem erhöhten Konsum
Eine Zusammenfassung von Faktoren und Mechanismen, die Treibhausgasemissionen verstärken oder ihre Reduzierung hemmen, zeigt deutlich, dass hohe Einkommen, Einkommensungleichheit und extremer Reichtum zu einem erhöhten Konsum führen, der wiederum mit gesteigerten Emissionen verbunden ist. Das Konzept des Green New Deal (GND) sieht als Antwort eine Veränderung der Machtverhältnisse vor.
Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Arbeitsplatzunsicherheit führen dazu, dass Betroffene Klimaschutzmaßnahmen ablehnen oder gleichgültig gegenüberstehen, aus Angst vor weiteren wirtschaftlichen Einbußen. Der GND schlägt vor, finanzielle Sicherheit zu schaffen und Machtverhältnisse zu ändern.
Die Emissionen der reichsten 10 Prozent machen einen erheblichen Teil der globalen Emissionen aus
Menschen mit geringem Einkommen oder finanzieller Unsicherheit stehen Klimaschutzmaßnahmen skeptisch gegenüber, vor allem wenn diese zu einer Verteuerung der Lebenshaltung führen. Sie haben auch nicht die Mittel, um in energieeffiziente oder CO2-arme Produkte zu investieren. Der GND antwortet darauf mit dem Ausbau nachhaltiger sozialer Versorgung und der Schaffung finanzieller Sicherheit zum Beispiel über ein bedingungsloses Einkommen (BGE).
Räumliche Ungleichheiten verschärfen den Widerstand gegen Klimaschutzmaßnahmen, da die Mechanismen der Arbeitsmarkt- und finanziellen Unsicherheit regional ungleich verteilt sind. Auch hier sieht der GND Lösungen in der Schaffung finanzieller Sicherheit und der Veränderung von Machtverhältnissen.
Ökonomische Ungleichheit führt zu Korruption und unterminiert das Vertrauen in die Regierung, wodurch die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen sinkt. Der GND reagiert mit Maßnahmen zur Machtumverteilung und dem Ausbau nachhaltiger sozialer Versorgung.
Soziale und ökonomische Ungleichheiten schließlich schwächen den sozialen Zusammenhalt und die Bereitschaft zur Kooperation für das gemeinsame Wohl. Auch hier setzt der GND auf eine Veränderung der Machtverhältnisse und den Aufbau nachhaltiger sozialer Versorgung und finanzieller Sicherheit.
Ökonomische Ungleichheit führt zu Korruption und unterminiert das Vertrauen in die Regierung
Der Green New Deal (GND) bietet Antworten auf die verschiedenen Mechanismen, die Ungleichheit und Klimawandel verbinden. Die Autoren Green und Healy haben 29 Konzepte eines GND aus fünf Kontinenten analysiert und dabei sechs zentrale Maßnahmenbündel identifiziert:
- Nachhaltige soziale Versorgung: Ziel ist es, allen Menschen Zugang zu nachhaltigen Grundbedürfnissen zu ermöglichen. Dazu gehören thermisch effiziente Wohnungen, saubere Energie, öffentliche Mobilität, nachhaltige Nahrung und sicheres Trinkwasser. Solche Maßnahmen verringern die Ungleichheit und erleichtern den Zugang zu CO2-armen Produkten, ohne das Haushaltsbudget zu belasten, und schaffen zusätzliche Arbeitsplätze.
- Finanzielle Sicherheit: GND-Konzepte sehen vor, finanzielle Sicherheit durch ein garantiertes Recht auf Arbeit, ein existenzsicherndes Mindesteinkommen (zB. BGE) und kostenlose Trainingsprogramme für klimafreundliche Jobs zu schaffen. Dies soll Opposition gegen Klimaschutzmaßnahmen verringern und Unterstützung für den Wandel in CO2-intensiven Branchen bieten.
- Änderung von Machtverhältnissen: Hierbei geht es um die Verringerung der Vermögenskonzentration und um die Stärkung der Rechte von Arbeitenden, Konsumenten und lokalen Gemeinschaften. Maßnahmen umfassen progressivere Steuern, Schließung von Steuerschlupflöchern und eine Verringerung des Einflusses von privatem Geld auf die Politik.
- CO2-zentrierte Maßnahmen: Dazu zählen CO2-Steuern und Regulierungen für Industrieemittenten. Diese Maßnahmen sollten durch die anderen Cluster ergänzt werden, um regressive Effekte zu vermeiden.
- Umverteilung durch den Staat: Staatliche Ausgaben sollen eine zentrale Rolle spielen und durch Steuern finanziert werden. Die Förderung von Innovationen und nachhaltigen Technologien gehört ebenso dazu wie eine Nachhaltigkeitsorientierung in der nationalen und unternehmerischen Buchführung.
- Internationale Zusammenarbeit: Wenige GND-Konzepte beinhalten Außenpolitik, aber Vorschläge umfassen Grenzausgleichsmaßnahmen, internationale Handelsregulierungen und globale Kooperationen zur Förderung nachhaltiger Technologien und Mindeststeuersätze.
In Europa, wo Ungleichheit weniger ausgeprägt ist als in den USA, könnten GND-Konzepte mehrheitsfähig sein. Der „Europäische Green Deal“ der EU-Kommission stellt einen ersten Schritt dar, und Erfahrungen in EU-Staaten zeigen, dass solche Konzepte erfolgreich sein können, wie das Beispiel der Spanischen Sozialistischen Partei zeigt.
Quellenangaben und Publikationen:
Green, Fergus; Healy, Noel (2022): How inequality fuels climate change: The climate case for a Green New Deal. In: One Earth 5/6:635-349. Online: https://www.cell.com/one-earth/fulltext/S2590-3322(22)00220-2
Mann, Michael E. (2019): Radical reform and the green new deal. In: Nature 573_ 340-34
Beim reichsten Zehntel der Bevölkerung Großbritanniens machten 2022 Flugreisen 37 % des Energieverbrauchs einer Person aus. Eine Person aus dem reichsten Zehntel verbrauchte für Flugreisen so viel Energie wie eine Person aus den ärmsten beiden Zehnteln für den gesamten Lebensunterhalt: https://www.carbonbrief.org/richest-people-in-uk-use-more-energy-flying-than-poorest-do-overall/
Chancel L.;Piketty T.;Saez E.;Zucman G.(2022): World Inequality Report 2022.. Online: https://wir2022.wid.world/executive-summary/
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Im April 2023 waren in der EU 2,6 Millionen Jugendliche unter 25 arbeitslos, das sind 13,8 %: https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/16863929/3-01062023-BP-EN.pdf/f94b2ddc-320b-7c79-5996-7ded045e327e
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