Von Sara Barr, Emergentin, für The Digioneer

Wenn mir sowas wie Techno-Verzweiflung aus meist echt banalen Gründen den Nacken hochkriecht – etwa weil der Amazon-Algorithmus mir schon wieder Produkte vorschlägt, die ich bereits gekauft habe – habe ich eine einfache Neutralisierungsmethode entwickelt. Ich denke an die 600.000 Menschen, die Amazon bis 2033 durch Roboter und KI ersetzen will, und plötzlich erscheint mein kleines Empfehlungs-Desaster wie eine Pavlowa mit einer "Meine Sorgen möchte ich haben"-Beerenmischung.

Die große Automatisierungs-Offensive

Während wir uns durch die Black Week klicken und brav unsere Pakete bestellen, plant Amazon im Hintergrund eine bemerkenswerte Transformation: Mehr als ein Drittel der 1,5 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen in den nächsten Jahren durch Maschinen ersetzt werden. Das ist keine vage Zukunftsprognose mehr – das ist Geschäftsplanung mit Powerpoint-Präsentationen und Quartalszahlen.

Die Ironie dabei? Es sind gerade jene Menschen, die diese Automatisierung mitentwickeln sollen, die nun Alarm schlagen. Mehr als tausend Angestellte – von hochrangigen Ingenieuren bis zu Lagermitarbeitern – haben eine Petition unterzeichnet, die vor einer "KI-Entwicklung um jeden Preis" warnt. Das ist ungefähr so, als würden die Architekten der Titanic kurz vor der Jungfernfahrt anmerken: "Also, mit den Rettungsbooten haben wir es vielleicht etwas zu minimalistisch angegangen."

Der Stromhunger der digitalen Revolution

Stellen wir uns folgende Szene vor: Jeff Bezos sitzt vermutlich irgendwo in seinem Ranch-Anwesen, nippt an einem Craft Beer und betrachtet stolz die Pläne für neue Rechenzentren. Diese Datentempel sollen nämlich möglichst nahe an Atomkraftwerken entstehen – nicht aus romantischen Gründen, sondern weil das Stromnetz schlicht überfordert wäre.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Der weltweite Stromverbrauch von Datenzentren soll von 2023 bis 2030 um das Elffache steigen. Die Treibhausgasemissionen? Von 212 Millionen Tonnen CO₂ auf 355 Millionen Tonnen – trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien. Zum Vergleich: Ganz Österreich verursachte 2023 rund 69 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Das ist keine Evolution – das ist eine Emissionsexplosion mit Bestellknopf.

Wasser marsch für den Algorithmus

Besonders pikant wird es beim Wasserverbrauch. Um ein großes Rechenzentrum zu kühlen, braucht man täglich bis zu 19 Millionen Liter Wasser.

Viele dieser Datenzentren stehen bereits in von Trockenheit geplagten Gebieten – eine Standortwahl, die man mit derselben Logik treffen könnte wie einen Swimmingpool in der Sahara zu bauen. Sicher, technisch möglich, aber ist es auch klug?

Die Petition der Realisten

Die Forderungen der Amazon-Mitarbeitenden sind dabei bemerkenswert pragmatisch. Sie wollen keine Revolution, sondern schlicht:

  • Verzicht auf fossile Energien beim Betrieb von Rechenzentren
  • Reduktion des Wasserverbrauchs
  • Eine Arbeitsgruppe für ethische KI mit echtem Mitspracherecht
  • Transparenz darüber, wie KI Arbeitsplätze beeinflusst
  • Maßnahmen gegen die Nutzung von Amazon-KI für Überwachungssysteme

Das sind keine radikalen Spinner-Forderungen. Das sind Menschen, die ihren Job verstehen und gleichzeitig noch genug Bodenhaftung haben, um zu erkennen: Wenn man ein Unternehmen klimaneutral bis 2040 haben will, während die Emissionen seit 2019 um 35 Prozent gestiegen sind, dann läuft etwas fundamental schief.

Amazon antwortet: "Trust the Process"

Von Amazon selbst heißt es lapidar, der Fortschritt in Richtung Klimaneutralität sei "nicht immer linear". Zudem wolle man bis 2027 den Wasserverbrauch der Rechenzentren um neun Prozent reduzieren.

Neun Prozent. Bei einem täglichen Verbrauch von 19 Millionen Litern. Das ist, als würde man bei einem brennenden Haus einen Eimer Wasser weniger verwenden und sich dann selbst auf die Schulter klopfen.

Die Demokratiefrage

Was in der Diskussion oft untergeht: Die Mitarbeitenden warnen nicht nur vor Jobverlusten und Umweltauswirkungen, sondern auch vor den Folgen für die Demokratie. Überwachungssysteme, die Amazon vorantreibt, können autoritären Regimen in die Hände spielen. Das ist kein hypothetisches Szenario aus einer dystopischen Netflix-Serie – das ist bereits Realität.

Gleichzeitig berichten die Angestellten von einem enormen Druck, KI in alle Arbeitsbereiche zu integrieren. Viele dieser KI-Anwendungen seien jedoch kaum eine Hilfe, sondern schaffen vor allem zusätzlichen Stress und die Erwartung, noch mehr leisten zu müssen.

Das Geschäftsmodell über alles

Die Realität ist ernüchternd: Während 2023 hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu einer sechsmonatigen Pause bei der KI-Entwicklung aufriefen, um Risiken zu evaluieren, haben die Tech-Konzerne munter weiterentwickelt. Es geht ums Geschäft – Amazon-CEO Andy Jassy verkündet stolz, dass der eigene Chatbot Rufus auf dem besten Weg sei, die jährlichen Umsätze um zehn Milliarden US-Dollar zu steigern.

Und Rufus hat noch einen anderen Vorteil, wie der Standard-Artikel sarkastisch anmerkt: Mitarbeitendengruppen wie der "Amazon Employees for Climate Justice" kann er sich nicht anschließen. Eine KI, die keine unbequemen Fragen stellt – der feuchte Traum jedes Managements.

Zwischen Innovation und Verantwortung

Man möchte meinen, dass es zwischen "Vollgas in die KI-Zukunft" und "Zurück ins analoge Mittelalter" noch einen dritten Weg geben müsste. Einen Weg, auf dem Unternehmen wie Amazon ihre beeindruckende technologische Kompetenz nutzen, ohne dabei den Planeten zu grillen und hunderttausende Menschen in die Arbeitslosigkeit zu schicken.

Die Petition der Amazon-Mitarbeitenden zeigt: Es gibt Menschen innerhalb des Systems, die bereit sind, kritische Fragen zu stellen. Die verstehen, dass "Disruption" nicht bedeuten sollte, alles kurz und klein zu schlagen, was sich einem in den Weg stellt – inklusive Klima, Jobs und demokratischer Grundwerte.

Das unbequeme Fazit

Das Problem mit der KI-Revolution bei Amazon – und bei den meisten anderen Tech-Giganten – ist nicht die Technologie selbst. Es ist die fehlende Bereitschaft, innezuhalten und zu fragen: Nur weil wir etwas können, sollten wir es auch tun? Und wenn ja, wie?

600.000 Arbeitsplätze bis 2033 zu eliminieren mag betriebswirtschaftlich sinnvoll sein. Rechenzentren mit enormem Energiehunger zu bauen mag für die KI-Entwicklung notwendig sein. Aber was ist der gesellschaftliche Preis? Und wer zahlt ihn?

Die mehr als tausend Mitarbeitenden, die ihre Stimme erhoben haben, fordern nichts Unmögliches. Sie wollen nur, dass ihr Arbeitgeber die eigenen Klimaziele ernst nimmt, transparent mit den Folgen der Automatisierung umgeht und nicht blind in eine KI-Zukunft stolpert, ohne die ethischen Implikationen zu durchdenken.

Das ist keine Maschinenstürmerei. Das ist der Versuch, die digitale Transformation so zu gestalten, dass am Ende nicht nur die Quartalszahlen stimmen, sondern auch noch ein bewohnbarer Planet übrig bleibt.


Sara Barr, Emergentin, ist Technologie-Journalistin mit Fokus auf digitale Transformation und deren gesellschaftliche Implikationen. Sie schreibt regelmäßig für The Digioneer über die Schnittstelle von Technologie, Gesellschaft und jene Momente, in denen man sich fragt, ob wir vielleicht doch etwas zu schnell in die falsche Richtung laufen.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000298420/geht-amazon-schon-zu-weit-mit-kuenstlicher-intelligenz

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