Du sitzt in deinem Lieblingscafé in Brooklyn, nippst an deinem Oat Latte und scrollst durch deinen Feed. Wieder ein Posting über die 4B-Bewegung. Vielleicht rollst du genervt mit den Augen – schon wieder diese "männerhassenden Feministinnen"? Halt stopp. Lass uns mal einen Moment innehalten und genauer hinschauen.
Als ich das erste Mal von der 4B-Bewegung hörte, war auch ich skeptisch. Kein Dating, keine Ehe, keine Kinder, kein Sex mit Männern – klingt erstmal nach einer ziemlich radikalen Ansage. Aber je tiefer ich in die Geschichten der Frauen eintauchte, desto klarer wurde mir: Hier geht es um viel mehr als nur um einen "Männerboykott".
"Ich bin es einfach leid, mich ständig zu verbiegen", erzählt mir Sarah, 28, Softwareentwicklerin aus Seattle. "Warum muss ich immer die sein, die zurücksteckt, die verständnisvoll ist, die ihre Karriere hinten anstellt?" Eine Frage, die sich viele Frauen stellen – und zwar nicht erst seit gestern.
Die 4B-Bewegung ist nicht aus dem Nichts entstanden. Was in Südkorea Mitte der 2010er Jahre als Protestschrei gegen ein erdrückendes Patriarchat begann – in einem Land, wo Frauen noch immer durchschnittlich 31,5 Prozent weniger verdienen als Männer und "Molka" (heimlich gefilmte Sexvideos) ein massives Problem sind – findet jetzt in den USA ein erschreckend vertrautes Echo. Sie ist eine Antwort. Eine Antwort auf jahrzehntelange Frustration, auf den Gender Pay Gap, auf sexuelle Belästigung, auf die doppelte Belastung durch Job und Familie. Und ja, auch eine Antwort auf die politische Situation in den USA nach Trumps Wiederwahl. Was als koreanische Bewegung startete, wird plötzlich zur globalen Sprache der Verweigerung.
Aber – und das ist mir wichtig zu betonen – es geht nicht darum, Männer zu hassen oder sie aus unserem Leben zu verbannen. Es geht darum, innezuhalten und zu fragen: Warum machen wir die Dinge eigentlich so, wie wir sie machen? Müssen wir wirklich heiraten? Müssen wir Kinder bekommen? Müssen wir uns dem gesellschaftlichen Druck beugen?
Die Bewegung hat ihre Schwächen, keine Frage. Die Ausgrenzung von Trans-Frauen ist problematisch und widerspricht dem eigentlichen Gedanken der Solidarität. Auch die praktische Umsetzbarkeit eines kompletten "Männer-Boykotts" ist fraglich – und ehrlich gesagt auch nicht das eigentliche Ziel.
Ursprung und Bedeutung
Die 4B-Bewegung entstand Mitte der 2010er Jahre in Südkorea als Reaktion auf gesellschaftliche Ungleichheiten und Frauenfeindlichkeit. Der Name leitet sich von vier koreanischen Wörtern ab, die alle mit "bi" (Nein) beginnen und die Grundprinzipien der Bewegung darstellen:
- Bisekseu: Kein Sex mit Männern
- Bichulsan: Keine Kinder gebären
- Biyeonae: Kein Dating mit Männern
- Bihon: Keine Heirat mit Männern
Was mich an der 4B-Bewegung beeindruckt, ist der Mut zur radikalen Selbstbestimmung. Diese Frauen sagen: "Ich definiere mich nicht über meine Beziehung zu Männern. Ich bin mehr als eine potenzielle Ehefrau oder Mutter. Ich bin ein Mensch mit eigenen Wünschen, Träumen und Zielen."
Ist das radikal? Vielleicht. Aber manchmal braucht es radikale Ansätze, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Die 4B-Bewegung ist ein Weckruf. Ein Reminder, dass wir die Wahl haben. Dass wir "Nein" sagen dürfen. Zu Dates, die wir nicht wollen. Zu Ehen, die uns einengen. Zu Kindern, die wir nicht bekommen möchten. Zu Sex, den wir nicht haben wollen.
Und genau das macht die Bewegung so wichtig: Sie gibt uns die Erlaubnis, diese Entscheidungen zu treffen. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne uns rechtfertigen zu müssen.
Also ja, scroll ruhig weiter durch deinen Feed. Aber vielleicht denkst du das nächste Mal, wenn du von der 4B-Bewegung liest, einen Moment länger nach. Denn auch wenn du nicht alle Prinzipien übernehmen möchtest – die Grundidee der Selbstbestimmung betrifft uns alle.
Und wer weiß? Vielleicht ist diese "radikale" Bewegung genau der Anstoß, den unsere Gesellschaft braucht, um endlich echte Gleichberechtigung zu erreichen. Nicht durch Zwang, sondern durch bewusste Entscheidungen. Eine stille Revolution der kleinen "Neins", die am Ende vielleicht mehr bewirkt als all die lauten "Ja, aber..."s der Vergangenheit.
Besonders interessant ist dabei die Rolle der Digitalisierung. Während Tech-Bros in ihren Glaspalästen im Silicon Valley weiterhin von der großen digitalen Revolution schwärmen, zeigt der Gender Pay Gap in der Tech-Branche ein anderes Bild: Frauen verdienen hier durchschnittlich immer noch 18% weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist die bittere Ironie unserer Zeit – wir können KI-Systeme entwickeln, die ganze Sinfonien komponieren, aber schaffen es nicht, Frauen fair zu bezahlen.
Doch genau hier liegt auch eine Chance: Die gleichen digitalen Plattformen, die jahrelang toxische Männlichkeit verstärkt haben, werden jetzt zu Katalysatoren für Bewegungen wie 4B. Auf TikTok, Reddit und Twitter vernetzen sich Frauen, teilen ihre Erfahrungen und organisieren sich. Die Tech-Industrie, die so lange Teil des Problems war, wird unfreiwillig zum Werkzeug der Veränderung. Vielleicht ist das die ultimative Form der Disruption, von der das Valley immer träumt: Eine Revolution, die nicht von oben kommt, sondern von den Frauen, die "Nein" sagen – zu unfairen Strukturen, zu toxischen Arbeitsumgebungen und zu einer Tech-Welt, die sie zu lange ausgeschlossen hat.
Also ja, die 4B-Bewegung mag radikal erscheinen. Aber in einer Welt, in der wir täglich neue technologische Durchbrüche feiern, während alte Ungerechtigkeiten bestehen bleiben, ist vielleicht genau das die Innovation, die wir brauchen.
Jamie Walker berichtet aus New York für The Digioneer über Gesellschaft, Technologie und die digitale Revolution.
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