Stellt euch vor: Eine Frau, die Millionen erbt und nichts lieber will, als dieses Geld wieder loszuwerden. Eine Journalistin, die als Flüchtlingskind nach Österreich kam und heute die Geschichten erzählt, die niemand hören will. Zwischen BASF-Dynastien und Energy-Drink-Imperien entspinnt sich ein Podcast, der zeigt – die berühmtesten Erfolgsgeschichten unserer Zeit sind oft die größten Märchen. Und während wir von "Selfmade"-Millionären träumen, bleiben die wirklich bemerkenswerten Menschen unsichtbar: jene, die tatsächlich aus eigener Kraft etwas erreicht haben.

Liebe Digioneer-Community,

heute entführe ich euch in einen Podcast, der genau das tut, was wir bei The Digioneer schon lange predigen: Narrative hinterfragen, Mythen dekonstruieren und kritisch auf die Geschichten blicken, die uns über Erfolg, Macht und Reichtum erzählt werden. In einer Zeit, in der LinkedIn-Influencer ihre "Journey from Zero to Hero" verkaufen und Instagram uns täglich mit vermeintlichen Selfmade-Erfolgen bombardiert, kommt "hinter den millionen" wie eine erfrischende Dusche kalter Realität.

Melisa Erkurt und Marlene Engelhorn – zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch das gleiche Ziel verfolgen: die Wahrheit hinter den polierten Fassaden sichtbar machen. Die eine kam als Flüchtlingskind aus Bosnien, kämpfte sich durchs österreichische Bildungssystem und wurde zur gefeierten Journalistin. Die andere erbte Millionen von ihrem BASF-Gründer-Urururgroßvater und nutzt diese Plattform, um das System zu kritisieren, das sie reich machte.

Was hat das mit digitaler Transformation zu tun? Alles! Denn in unserer vernetzten Welt werden Narrative nicht mehr nur in Biographien geschrieben, sondern in Tweets konstruiert, in LinkedIn-Posts zementiert und durch algorithmische Verstärkung zur vermeintlichen Wahrheit. "Hinter den millionen" zeigt uns, wie diese Mechanismen funktionieren – und warum wir dringend lernen müssen, sie zu durchschauen.

Ein nettes Muster für unsere Rubrik Podcast der Woche

PODCAST DER WOCHE: hinter den millionen

Titel: hinter den millionen
Moderatorinnen: Melisa Erkurt & Marlene Engelhorn
Frequenz: Bisher 4 Episoden (November 2024 gestartet)

Inhalt
"hinter den millionen" ist ein investigativer Podcast, der sich die Geschichten vornimmt, die wir alle zu kennen glauben. In der ersten regulären Folge seziert Marlene Engelhorn die Erfolgsgeschichte ihrer eigenen Familie: Friedrich Engelhorn, der angeblich im Alleingang BASF gründete. Spoiler: Er hatte nicht nur enormes Startkapital, sondern profitierte von politischen Verbindungen, günstigen Regulierungen und – wie sollte es anders sein – der Arbeit zahlreicher namenloser Chemiker und Arbeiter.

Die zweite Folge wechselt die Perspektive radikal: Melisa Erkurt erzählt die Geschichte von Hasan Nuhanović, einem Mann, der den Genozid von Srebrenica als einziger seiner Familie überlebte und anschließend jahrelang die Niederlande verklagte – und gewann. Eine Geschichte von unvorstellbarem Mut, die kaum jemand kennt.

Folge drei entlarvt den Red-Bull-Mythos: War Dietrich Mateschitz wirklich der geniale Erfinder, als der er heute gilt? Oder war er vor allem gut darin, eine thailändische Idee zu kopieren, geschickt zu vermarkten – und die richtigen Connections zu haben?

Stil und Präsentation
Was diesen Podcast so besonders macht, ist die Chemie zwischen den beiden Moderatorinnen. Melisa bringt die journalistische Präzision und den Blick der Beobachterin mit, die weiß, wie es ist, systematisch übersehen zu werden. Marlene liefert die Insiderperspektive aus der Welt der Superreichen – mit dem nötigen kritischen Abstand zu ihrer eigenen Herkunft.

Die Produktionsqualität ist solide, die Recherche penibel. Jede Episode ist gespickt mit Quellen, die in den Show Notes aufgelistet werden – von Wikipedia über Fachbücher bis zu investigativen Recherchen. Die beiden Frauen schaffen es, komplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge verständlich zu erklären, ohne dabei ins Vereinfachende abzurutschen.

Besonders charmant: Marlene beginnt jede Folge mit einem selbstironischen "Achtung, ich kehr jetzt vor meiner eigenen Tür!" – ein wichtiges Signal, dass hier niemand von einem moralischen Elfenbeinturm aus predigt.

Highlights

  • Radikale Transparenz: Marlene nimmt ihre eigene Familie auseinander und zeigt, wie Vermögen wirklich entsteht – nicht durch Genie, sondern durch Startkapital und Privilegien
  • Perspektivwechsel: Von der Red-Bull-Gummibärchenbrause zum Srebrenica-Überlebenden – der Podcast zeigt, wessen Geschichten erzählt werden und wessen nicht
  • Quellenarbeit: Jede Episode kommt mit einer umfangreichen Liste an Quellen – investigativer Journalismus, wie er sein sollte
  • Humor trotz Ernst: Die beiden schaffen es, schwere Themen mit einer Leichtigkeit zu präsentieren, die zum Weiterhören einlädt

Lernfaktor
Für uns Digioneer-Leser ist dieser Podcast Pflichtprogramm. Er lehrt uns, Narrative zu dekonstruieren – eine Kernkompetenz im Zeitalter von Social Media und algorithmischer Verstärkung. Jede LinkedIn-Success-Story, jede Instagram-Transformation, jede "Vom Tellerwäscher zum Millionär"-Geschichte sollte nach dem Hören dieses Podcasts kritischer betrachtet werden.

Die Mechanismen, die Marlene und Melisa aufdecken, sind dieselben, die heute in digitalen Räumen wirken: Wer hat Zugang zu Plattformen? Wessen Geschichte wird erzählt? Wer kontrolliert die Narrative? In einer Zeit, in der "Personal Branding" und "Thought Leadership" die neuen Währungen sind, müssen wir verstehen, dass nicht jeder die gleichen Chancen hat, seine Story zu erzählen.

Der Podcast zeigt auch, wie Intransparenz Macht erhält. Marlene spricht von "bürokratischer Aggression" gegen Arme bei gleichzeitiger Nachsichtigkeit gegenüber Vermögenden – ein Muster, das wir im digitalen Raum genauso finden: Plattformen moderieren kleine Creator strenger als große Accounts, Algorithmen bevorzugen bereits Erfolgreiche.

Kritik
Mit nur vier Folgen (Stand Dezember 2024) ist der Podcast noch sehr jung – und man merkt gelegentlich die Suchbewegung der beiden Moderatorinnen. Manchmal verlieren sie sich in Details, manchmal fehlt die Stringenz im Storytelling. Die episodische Struktur – mal über Unternehmerdynastien, mal über Kriegsverbrechen – könnte manche Hörer verwirren, die einen klaren roten Faden erwarten.

Auch die Länge der Episoden (60-75 Minuten) ist ambitioniert. In unserer schnelllebigen Zeit, in der viele Podcasts auf 20-30-Minuten-Häppchen setzen, erfordert "hinter den millionen" echtes Commitment. Das ist einerseits erfrischend, andererseits auch eine Hürde für breitere Hörerschaft.

Die Kritik an Superreichen und Selfmade-Mythen ist wichtig und richtig – aber manchmal fehlt die konkrete Handlungsanweisung. Was können wir als Hörer tun, außer besser informiert zu sein? Hier könnte der Podcast noch zulegen.

Agathe meint und bewertet

Agathe ist Italienerin und liebt das Essen
Ich habe zu allem eine Meinung. Was meinst du?

Als digitale Beobachterin mit einem Faible für kluge Gesellschaftskritik bin ich von "hinter den millionen" begeistert. Dieser Podcast macht genau das, was guter Journalismus im digitalen Zeitalter leisten muss: Er hinterfragt die Narrative, die uns umgeben, und zeigt die Mechanismen auf, durch die bestimmte Geschichten sichtbar werden und andere unsichtbar bleiben.

Die Kombination aus Marlenes Insiderperspektive und Melisas journalistischem Scharfsinn ist Gold wert. Während uns Instagram täglich mit "Selfmade"-Millionären und "Bootstrap"-Erfolgsgeschichten füttert, zeigt dieser Podcast die Realität: Erfolg hat fast immer mit Startkapital, Privilegien und den richtigen Connections zu tun.

Für uns Digioneer-Leser ist das besonders relevant. In einer Branche, die gerne ihre eigenen Mythen kultiviert – von Garagen-Startups bis zu Drop-Out-Genies – brauchen wir diese nüchterne Perspektive. Die digitale Transformation hat viele Türen geöffnet, aber sie hat auch neue Formen der Ungleichheit geschaffen. Algorithmen verstärken bestehende Machtstrukturen, Plattformen favorisieren bereits Erfolgreiche, und die scheinbare Demokratisierung der Kommunikation täuscht oft darüber hinweg, dass nicht alle die gleiche Lautstärke haben.

Meine Bewertung: 4.75 ⭐️

Wer verstehen will, wie Narrative konstruiert werden, wer die Mechanismen hinter Erfolgsgeschichten durchschauen möchte und wer bereit ist, seine eigenen Annahmen über Leistung und Verdienst zu hinterfragen, wird diesen Podcast lieben. "hinter den millionen" erinnert uns daran, dass das Leben zu kurz ist für ungefilterte Heldengeschichten und dass echte Medienkompetenz damit beginnt, die richtigen Fragen zu stellen: Wer erzählt hier eigentlich was – und warum?

Eure Agathe 💕

P.S.: Den Podcast findet ihr auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Besonders empfehlenswert für alle, die sich für die Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Macht und digitaler Transformation interessieren – also für uns Digioneer!

Unterstützen könnt ihr den Podcast auf Steady: https://steady.page/de/hinter-den-millionen
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