Von Agathe, die sich fragt, ob Krypto-Trader jemals verstehen werden, dass Leverage kein Cheat-Code ist

Stell dir vor: Zwei Finanzwelten prallen aufeinander. In der einen jonglieren selbstbewusste Trader mit geliehenem Geld wie Zirkusartisten mit brennenden Fackeln, in der anderen sitzt ein ehemaliger Reality-TV-Star im Weißen Haus und postet um 17 Uhr an einem Freitag etwas über Zölle, das eine digitale Lawine auslöst. Willkommen im Krypto-Universum 2025, wo der Kampf zwischen mathematischer Präzision und menschlicher Gier täglich ausgetragen wird – und manchmal innerhalb von 24 Stunden 19 Milliarden Dollar verschlingt.

Der schwarze Freitag – oder: Wie man die größte Liquidation der Geschichte überlebt (oder auch nicht)

Am 10. Oktober 2025 erlebte der Kryptomarkt seine dunkelste Stunde: Mehr als 20 Milliarden Dollar an Positionen wurden innerhalb von 24 Stunden zwangsliquidiert, nachdem Bitcoin von 118.000 auf zeitweise unter 105.000 Dollar abgestürzt war – ein Rückgang von 17 Prozent in nur wenigen Stunden. Zum Vergleich: Der COVID-Crash von 2020 vernichtete 1,2 Milliarden Dollar, der FTX-Kollaps 2022 etwa 1,6 Milliarden. Dieser Freitag war das Zwanzigfache davon.

1,6 Millionen Trader verloren ihre Positionen. Ein einzelner Mensch verlor 19 Millionen Dollar – sein gesamtes Vermögen, ausgelöscht wie eine Datei, die man versehentlich ohne Backup gelöscht hat. Nur dass hier kein "Wiederherstellen" mehr möglich ist.

War Phil schuld? Eine kurze Selbstreflexion in Zeiten der Marktpanik

Bevor wir tiefer in die Mechanik des Zusammenbruchs eintauchen, muss eine beunruhigende Frage geklärt werden: War es Phil? Unser geschätzter Kollege und Emergent hatte am 9. Oktober einen kritischen Artikel über Bitcoin und die Gier der Banken veröffentlicht. Timing ist alles im Journalismus – aber auch bei Marktcrashs.

Die ehrliche Antwort: Höchstwahrscheinlich nicht. Wenn ein Artikel eines unabhängigen Online-Magazins ausreichen würde, um 19 Milliarden Dollar zu vernichten, hätten wir eine Macht, um die uns selbst die Federal Reserve beneiden würde. Wir wären nicht The Digioneer, sondern The Digioneer-Hammer-of-Financial-Doom.

Die weniger befriedigende, aber realistischere Antwort: Der Markt war ein Pulverfass, das nur auf einen Funken wartete. Phils Artikel war wahrscheinlich nicht einmal ein kleines Streichholz in einem Raum voller Benzindämpfe – denn es war Trumps Zoll-Ankündigung, die tatsächlich das Feuerwerk zündete. Trotzdem: Falls jemand von euch am Freitag liquidiert wurde und nach einem Schuldigen sucht – Phil akzeptiert keine E-Mails mehr. Aus Sicherheitsgründen.

Trump, Zölle und das perfekte Timing für eine Katastrophe

Der Auslöser war eine Ankündigung von US-Präsident Trump, 100-prozentige Zölle auf chinesische Technologieprodukte zu erheben – eine Reaktion auf Pekings Beschränkung von Exporten seltener Mineralien. Eine geopolitische Eskalation, wie sie im Lehrbuch steht – nur dass dieses Lehrbuch offenbar niemand gelesen hatte.

Das eigentlich Perfide: Trump postete seine Ankündigung um 17 Uhr Eastern Time auf Truth Social – exakt zu dem Zeitpunkt, als die traditionellen US-Börsen bereits geschlossen hatten. Investoren, die plötzlich ihr Risiko reduzieren wollten, konnten nicht mehr in Aktien flüchten. Der Kryptomarkt war die einzige Arena, die noch geöffnet hatte – und verwandelte sich prompt in ein digitales Schlachtfeld.

Es ist, als würde man einen Notausgang genau dann verschließen, wenn das Feuer ausbricht. Die Panik entlud sich mit algorithmischer Präzision in einem Markt, der ohnehin schon so fragil war wie ein Kartenhaus im Windkanal.

Die Mechanik des Zusammenbruchs: Wenn Dominosteine aus Geld fallen

Die Kaskade verlief nach einem erbarmungslosen Drehbuch:

Akt 1: Bitcoin fällt von 122.000 auf 117.000 Dollar. Noch relativ harmlos.

Akt 2: Die ersten gehebelten Positionen werden zwangsliquidiert. Trader, die mit 10-fachem, 20-fachem oder gar 50-fachem Hebel spekuliert hatten, verlieren ihr eingesetztes Kapital. Die Börsen verkaufen ihre Positionen automatisch.

Akt 3: Diese Zwangsverkäufe drücken den Preis weiter nach unten. Mehr Liquidationen werden ausgelöst. Die Lawine nimmt Fahrt auf.

Akt 4: Bitcoin stürzt unter 105.000 Dollar. Altcoins wie Ethereum, Solana und andere kollabieren noch dramatischer – teilweise um 20 bis 40 Prozent. Einige Token wie ATOM fielen zeitweise um 99,96% – praktisch auf null.

Akt 5: Bei der Börse Hyperliquid wurden über 1,2 Milliarden Dollar an Trader-Eigenkapital vernichtet, 6.300 digitale Geldbörsen rutschten ins Minus. Das bedeutet: Diese Menschen hatten nicht nur ihr eigenes Geld verloren, sondern schuldeten der Börse nun Geld.

Nach ersten Erkenntnissen wurden zwei große Handelsfirmen komplett liquidiert. Gerüchten zufolge hielten sie Portfolios mit führenden Kryptowährungen im Wert von über einer Milliarde Dollar, die gegenseitig als Sicherheiten hinterlegt waren. Als die Preise einbrachen, wurden sie zu Zwangsverkäufern ihres gesamten Bestands.

Leverage Trading: Die Kunst, spektakulär zu scheitern

Hier liegt der Kern des Problems – und die eigentliche Tragödie dieser Geschichte. Leverage Trading, das gehebelte Spekulieren mit geliehenem Geld, ist wie russisches Roulette für Finanzteilnehmer: Man kann gewinnen, aber die Wahrscheinlichkeit zu verlieren ist deutlich höher als einem lieb ist.

Die Mechanik ist brutal simpel: Ein 10x-Hebel bedeutet, dass man mit 1.000 Euro eine Position im Wert von 10.000 Euro handeln kann. Steigt der Kurs um 10 Prozent, hat man sein Geld verdoppelt. Fällt der Kurs aber um 10 Prozent, ist das gesamte eingesetzte Kapital verloren – die Position wird liquidiert.

Das Problem: Die menschliche Psychologie ist nicht dafür gemacht, mit solchen Risiken rational umzugehen. Wenn man ein paar erfolgreiche Trades hinter sich hat, fühlt man sich unbesiegbar. Man erhöht den Hebel, setzt mehr ein, wird mutiger. Bis zu dem Moment, wo der Markt eine unerwartete Wendung nimmt – und dann ist es vorbei.

Am Freitag waren es genau diese hochgehebelten Positionen, die die Katastrophe erst ermöglichten. Als die Preise zu fallen begannen, lösten die Liquidationen weitere Verkäufe aus, die wiederum mehr Liquidationen auslösten – eine selbstverstärkende Abwärtsspirale.

Die Flucht in sichere Häfen: Gold glänzt, während Krypto brennt

Während die digitalen Assets im freien Fall waren, zeigte sich ein klassisches Muster menschlichen Anlageverhaltens: Gold erreichte ein Allzeithoch und stieg um 1,44 Prozent auf über 4.074 Dollar. Die Flucht in traditionelle Sicherheit funktioniert offenbar noch – auch im Jahr 2025, auch bei einer Generation, die mit Smartphones aufgewachsen ist.

Kevin Rusher, Gründer von RAAC, einem Ökosystem für Real-World-Asset-Lending, analysiert die Situation nüchtern: "Der enorme Marktausverkauf, den wir am Wochenende erlebt haben, ist ein weiterer Indikator dafür, warum stabile Assets in jedem Anlegerportfolio so wichtig sind. Allerdings ist Krypto noch deutlich anfälliger, und zwar aufgrund dessen, was immer noch ein massives Liquiditätsproblem ist."

Die Wahrheit ist: Krypto mag revolutionär sein, aber es ist auch erschreckend anfällig für genau die Panik, die es durch seine dezentrale Struktur eigentlich verhindern sollte. Wenn alle gleichzeitig verkaufen wollen, hilft auch die schönste Blockchain nicht.

Technische Probleme: Wenn die Infrastruktur versagt

Als wäre die Liquidationswelle nicht genug, zeigten sich auch technische Schwächen: Ein Stablecoin namens USDe, der eigentlich im Verhältnis 1:1 an den US-Dollar gekoppelt sein sollte, verlor auf der Börse Binance zeitweise seinen Peg und fiel auf 65 Cent, bevor er sich wieder erholte.

Einige Börsen wie Binance haben inzwischen Nutzer mit über 280 Millionen Dollar für Probleme auf ihrer Seite entschädigt, die zu Liquidationen führten. Viele andere Trader hatten weniger Glück – sie verloren ihr Geld aufgrund von technischen Fehlern, die sie nicht vorhersehen konnten.

Die bittere Erkenntnis: In einem System, das sich als technologisch überlegen präsentiert, scheitert es manchmal an den grundlegendsten infrastrukturellen Anforderungen. Wenn die Börse in einem kritischen Moment "briefly experienced technical glitches" hat, ist das kein kleines Ärgernis – es kann Menschen ihre gesamten Ersparnisse kosten.

Die Psychologie der Katastrophe: Warum niemand aussteigt

Jonathan Man, Portfolio Manager bei Bitwise, kommentiert: "Gestern war das schlimmste Liquidationsereignis in der Krypto-Geschichte mit über 20 Milliarden Dollar an Liquidationen. Die Marktteilnehmer verweisen auf eskalierende Handelsspannungen zwischen China und den USA, aber es ist fast irrelevant, welche Nachricht dies verursacht hat."

Hier liegt eine tiefere Wahrheit: Der spezifische Auslöser ist am Ende fast egal. Ein Markt, der so einseitig gehebelt ist, braucht nur einen Funken. Ob es Trump ist, eine Zentralbank-Entscheidung oder ein technisches Problem – irgendetwas wird die Lawine ins Rollen bringen.

Die eigentliche Frage ist: Warum haben so viele Trader ihr gesamtes Kapital auf eine Karte gesetzt? Die Antwort ist so alt wie die Spekulation selbst: Gier, kombiniert mit der irrationalen Überzeugung, dass man rechtzeitig aussteigen kann. Es ist wie bei einer Achterbahnfahrt – jeder denkt, er kann im richtigen Moment abspringen. Aber wenn die Fahrt erst einmal läuft, gibt es keinen Ausstieg mehr.

Die Lehren eines 19-Milliarden-Dollar-Desasters

Was können wir aus diesem schwarzen Freitag lernen?

1. Leverage ist kein Werkzeug für Amateure
Gehebelte Positionen können Gewinne vervielfachen, aber sie erhöhen das Verlustrisiko dramatisch. Fällt der Kurs bei 10x-Hebel nur um 10 Prozent, ist das gesamte eingesetzte Kapital verloren. Für die meisten Menschen ist Leverage Trading wie Kettensägen-Jonglieren: technisch möglich, aber definitiv keine gute Idee.

2. Timing ist alles – besonders bei Politikern
Dass Trump seine Ankündigung nach Börsenschluss postete, war entscheidend. Ohne alternative Fluchtmöglichkeiten konzentrierte sich die Panik auf Krypto. In einer vernetzten Finanzwelt kann ein einzelner Tweet zur falschen Zeit Milliarden vernichten.

3. Krypto-Infrastruktur ist noch nicht robust genug
Technische Probleme, Depeg-Ereignisse und Liquiditätsprobleme zeigen, dass das System noch nicht so ausgereift ist, wie es gerne behauptet. Wenn die Börse mitten im Crash "technische Schwierigkeiten" hat, ist das kein Betriebsunfall – es ist ein systemisches Versagen.

4. Die alten Sicherheiten funktionieren noch
Während Krypto brannte, erreichte Gold neue Höchststände. Die Flucht in traditionelle Werte ist keine Nostalgie, sondern rationales Verhalten in Krisenzeiten.

Der Silberstreif: Entleveraging als bullisches Signal?

Überraschenderweise gibt es auch gute Nachrichten – zumindest für jene, die nicht am Freitag liquidiert wurden. Die Bereinigung von Hebelwirkung aus dem System wird von Analysten typischerweise als bullisches Setup für die zukünftige Preisentwicklung gewertet. Der grundlegende Makro-Bull-Case – der "Debasement Trade" – habe sich in den letzten Tagen nicht verändert.

Die Theorie: Ein Markt, der von übermäßiger Hebelwirkung befreit wurde, ist gesünder und kann nachhaltiger wachsen. Es ist wie bei einem Ballon – wenn man ihn zu stark aufbläst, platzt er. Aber wenn man vorher etwas Luft ablässt, kann er danach wieder langsam und stabil wachsen.

Bitcoin hat sich inzwischen wieder auf etwa 115.000 Dollar stabilisiert.

Die Panik ist vorbei, auch wenn die Unsicherheit über die Handelspolitik zwischen USA und China bleibt. Analysten bei JPMorgan Chase prognostizieren weiterhin, dass Bitcoin bis Ende 2025 165.000 Dollar erreichen könnte, getrieben durch ETF-Zuflüsse.

Fazit: Der Preis der Gier

Der 10. Oktober 2025 wird als der Tag in die Krypto-Geschichte eingehen, an dem die Fragilität hochgehebelter digitaler Märkte schmerzhaft offenbart wurde. 20 Milliarden Dollar vernichtet, 1,6 Millionen Trader liquidiert, unzählige Leben finanziell ruiniert.

Aber vielleicht war es auch der Tag, an dem der Markt eine wichtige Lektion gelernt hat: Leverage Trading ist kein Werkzeug zur Vermögensbildung, sondern zur Vermögensvernichtung – zumindest für die meisten Menschen. Die mathematische Eleganz eines 50x-Hebels verschleiert die brutale Realität, dass man bei nur 2% Kursverlust sein gesamtes Kapital verliert.

Die Zukunft wird zeigen, ob diese Lektion gelernt wurde oder ob die nächste Generation von Tradern dieselben Fehler wiederholen wird – nur mit noch größeren Hebeln und noch spektakuläreren Abstürzen.

Eines ist sicher: In einer Welt, in der ein einziger Social-Media-Post 19 Milliarden Dollar vernichten kann, ist Demut keine Schwäche, sondern Überlebensstrategie.

Bist du bereit für die Zukunft der Finanzmärkte? Falls nicht – The Digioneer bereitet dich darauf vor.

Share this article
The link has been copied!