Serie: Die Kreditkarten-Apokalypse | Teil 3 von 3
Die 16-stellige Nummer auf deiner Kreditkarte? Geschichte. Die Plastikkarte in deiner Brieftasche? Museum. Der digitale Euro, auf den Europa seit 2021 wartet? Zu spät. Während die Europäische Zentralbank noch Regelwerke schreibt, hat Asien die Zahlungs-Revolution längst vollzogen. Und Mastercard? Die schafft 2030 einfach die Kartennummer ab. Willkommen in der Post-Kreditkarten-Ära.
Wie kann 1 Milliarde Menschen ohne Kreditkarte leben?
In China zahlen über 1 Milliarde Menschen ausschließlich mit dem Smartphone – nicht weil sie fortschrittlich sein wollen, sondern weil Bargeld und Kreditkarten einfach verschwunden sind. 86 Prozent der Bevölkerung nutzen mobile Zahlungsdienste, und WeChat Pay sowie Alipay wickeln zusammen mehr als 80 Billionen Dollar pro Jahr ab. Wann hast du das letzte Mal erlebt, dass ein Straßenhändler nur QR-Codes akzeptiert?
Die Realität in Peking, Shanghai oder Shenzhen: Der Taxifahrer scannt deinen QR-Code. Die Großmutter auf dem Markt zeigt dir ihren QR-Code. Selbst Bettler haben QR-Codes auf Schildern. Bargeld? Das tragen nur noch Touristen. Kreditkarten? Die funktionieren in den meisten kleinen Geschäften gar nicht mehr.
Seit 2023/2024 können auch ausländische Besucher endlich mitspielen: Visa und Mastercard lassen sich mit Alipay und WeChat Pay verknüpfen. Aber es fühlt sich an wie ein Kompromiss – eine Brücke zwischen alter und neuer Welt. Die einfache Wahrheit: China hat Kreditkarten nicht abgeschafft. Sie wurden überflüssig.
Warum wickelt Indien 172 Milliarden Transaktionen ohne Visa ab?
Indien hat 2024 einen Meilenstein erreicht, den niemand erwartet hatte: 172 Milliarden Transaktionen über UPI (Unified Payments Interface) – ein Anstieg von 46 Prozent gegenüber 2023. Das Transaktionsvolumen? 247 Billionen Rupien, umgerechnet etwa 2,8 Billionen Dollar. Kennst du das Gefühl, wenn ein Land ein Zahlungssystem baut, das besser funktioniert als Visa?
UPI hat über 350 Millionen aktive Nutzer und 340 Millionen QR-Codes an Verkaufsstellen – von Straßenverkäufern bis zu Supermärkten. Praktisch jede Bank (über 550) ist Teil des Ökosystems. Und das Beste? 75 Prozent aller digitalen Einzelhandelszahlungen in Indien laufen über UPI. Die Revolution ist so erfolgreich, dass andere Länder sie kopieren: Bhutan, Nepal, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate, Malaysia, sogar Frankreich – alle integrieren UPI. Am Eiffelturm in Paris können indische Touristen 2024 per QR-Code in Rupien bezahlen. 2025 überholt UPI laut International Monetary Fund sogar Visa bei digitalen Zahlungen weltweit.
Phil Roosen, Emergent bei The Digioneer, der seit Jahren digitale Transformationen im DACH-Raum begleitet, sieht das pragmatisch: "Indien hat verstanden, dass Zahlungssysteme keine Luxusfrage sind, sondern Infrastruktur. Europa diskutiert seit vier Jahren über einen digitalen Euro. Indien hat in der gleichen Zeit ein System gebaut, das 172 Milliarden Transaktionen im Jahr abwickelt. Das ist der Unterschied zwischen Reden und Handeln.
Wann kommt der digitale Euro – und ist es dann schon zu spät?
Zwischen 2019 und 2024 ist der Anteil der Barzahlungen im Euroraum von 72 Prozent auf 52 Prozent gesunken. Europa wird digitaler – aber nicht europäisch digital. 66 Prozent aller elektronischen Zahlungen mit im Euroraum ausgegebenen Karten laufen über internationale Kartensysteme, hauptsächlich Visa und Mastercard. Das Problem? Die sind amerikanisch.
Die Europäische Zentralbank arbeitet seit 2021 am digitalen Euro. Die Vorbereitungsphase läuft bis Oktober 2025, dann wird entschieden, ob es weitergeht. Früheste mögliche Einführung: 2028 oder 2029. Stell dir vor, du könntest 2029 mit digitalem Euro zahlen – aber Apple Pay, Alipay und UPI sind längst Standard.
Experten rechnen mit einer Einführung bis 2030, aber es könnte eine schrittweise Einführung werden – zuerst nur im E-Commerce, dann langsam erweitert. Die Ironie: Europa will strategische Autonomie durch den digitalen Euro, während 66 Prozent der Zahlungen bereits über nicht-europäische Systeme laufen. Es ist, als würde man einen Rettungsring werfen, nachdem das Schiff schon gesunken ist.
"Der digitale Euro ist nicht zu spät, aber er kommt verdammt knapp", sagt Phil Roosen. "2028 oder 2029 – das sind noch vier Jahre. In dieser Zeit könnte Mastercard die Kartennummer abschaffen, Indien sein UPI-System auf 50 Länder ausweiten, und China den digitalen Yuan international etablieren. Europa muss jetzt liefern, nicht noch mehr Berichte schreiben.
Dazu kommt: Die EZB plant Haltelimits – also Obergrenzen, wie viel digitalen Euro man auf seinem Wallet haben darf. Das soll Geldwäsche verhindern, könnte aber die Akzeptanz bei Bürgern bremsen. Wer will schon ein digitales Zahlungsmittel, das limitiert ist?
Was passiert 2030, wenn Mastercard die Kartennummer abschafft?
Mastercard hat im November 2024 angekündigt, bis 2030 die manuelle Karteneingabe und statische Passwörter abzuschaffen. Stattdessen: Tokenization und biometrische Authentifizierung für alle Online-Zahlungen weltweit.
Die 16-stellige Nummer auf deiner Karte? Überflüssig. Das Ablaufdatum? Geschichte. Der CVV-Code? Museum.
Bereits heute sind über 30 Prozent aller Mastercard-Transaktionen weltweit tokenisiert. In Indien liegt die Quote bei fast 100 Prozent im E-Commerce.
Würdest du nur noch mit deinem Gesicht bezahlen wollen?
Mastercard arbeitet am "Biometric Checkout Program" – Bezahlen per Gesichtserkennung oder Handfläche, ganz ohne physische Karte. Klingt nach Science Fiction? In Großbritannien wird bereits jeder zehnte Online-Einkauf abgebrochen wegen vergessener Kartendaten oder komplizierter Checkout-Prozesse.
Die Motivation ist klar: Online-Betrug ist siebenmal höher als bei Geschäftszahlungen vor Ort. Tokenization soll das ändern. Und es funktioniert: Händler sehen bis zu zwei Milliarden Dollar zusätzlichen Umsatz pro Monat durch schnellere Checkouts und weniger Kaufabbrüche.
Aber die eigentliche Revolution? Physische Karten werden vollständig numberless – also ohne aufgedruckte Nummer. Wenn du deine Kartennummer brauchst, findest du sie nur noch in der Banking-App. Das erste Land, das diesen Schritt geht, ist Australien – in Partnerschaft mit der AMP Bank. Andere Banken sollen in den kommenden 12 Monaten folgen.
Die Frage ist nicht, ob das kommt. Die Frage ist: Bist du bereit dafür?
Tokenization bedeutet konkret: Bei jeder Transaktion wird deine echte Kartennummer durch einen einzigartigen, zufällig generierten Token ersetzt. Selbst wenn Hacker diesen Token abfangen, können sie damit nichts anfangen – er ist nur für diese eine Transaktion gültig. Deine echte Kartennummer bleibt sicher versteckt.
Für Verbraucher bedeutet das: Nie wieder Kartendaten bei jedem Online-Shop eingeben. Stattdessen: Ein Klick auf "Click to Pay", kurzer Fingerabdruck-Scan auf dem Smartphone, fertig. Passwörter? Vergiss sie. CVV-Codes? Nicht mehr nötig.
Schluss
Die Kreditkarten-Ära endet nicht mit einem Knall. Sie stirbt leise, während wir noch diskutieren.
China hat es vorgemacht: 1 Milliarde Menschen ohne Kreditkarte. Indien folgt: 172 Milliarden Transaktionen ohne Visa. Europa plant: Digitaler Euro bis 2029 – vielleicht. Und Mastercard? Die schaffen 2030 einfach die Kartennummer ab.
Die Zukunft des Bezahlens ist nicht amerikanisch. Sie ist nicht europäisch. Sie ist digital, biometrisch, tokenisiert – und sie passiert jetzt.
Die Frage ist nicht mehr, ob die Kreditkarte verschwindet. Die Frage ist: Was kommt danach? Und wer kontrolliert es?
Die erschreckende Realität: Während Europa Datenschutz-Grundverordnungen schreibt und Zentralbanken tagen, bauen private Tech-Konzerne und asiatische Regierungen die Zahlungsinfrastruktur der Zukunft. WeChat Pay kennt jeden Einkauf von einer Milliarde Chinesen. UPI sammelt Daten von 350 Millionen Indern. Mastercard wird 2030 biometrische Daten von Millionen Europäern verarbeiten.
Die Frage ist also nicht nur, ob du bereit bist für eine Welt ohne Kreditkarte. Die Frage ist: Bist du bereit, mit deinem Gesicht zu bezahlen – und alle deine Transaktionen damit zu verknüpfen?
Bist du bereit für die Zukunft?
QUELLEN
- Stephan Scheuer: Bargeldlos in Fernost – so funktioniert mobiles Bezahlen in China (https://www.stephanscheuer.de/bargeldlos-in-fernost-so-funktioniert-mobiles-bezahlen-in-china/)
- WildChina: Navigating China's Digital Frontier – A Guide to Using Alipay in 2025 (https://wildchina.com/2025/10/guide-to-using-alipay-2025/)
- Coinlaw: Alipay vs. WeChat Pay Statistics 2025 (https://coinlaw.io/alipay-vs-wechat-pay-statistics/)
- Business Standard: UPI transactions continue upward trajectory, hit all-time high in Dec 2024 (https://www.business-standard.com/finance/news/upi-transactions-touch-all-time-high-in-december-125010300498_1.html)
- G+D: Die Zukunft des digitalen Zahlungsverkehrs in Indien (https://www.gi-de.com/de/spotlight/trends-insights/digitales-und-elektronisches-bezahlen-in-indien-die-zukunft-hat-begonnen)
- Wikipedia: Unified Payments Interface (https://en.wikipedia.org/wiki/Unified_Payments_Interface)
- SendValu: Wie UPI Überweisungen und Geldtransfers nach Indien transformiert (https://www.sendvalu.com/de/blog/artikel/upi-veraendert-geldtransfers-indien)
- EZB: Zeitplan und Fortschritte beim digitalen Euro (https://www.ecb.europa.eu/euro/digital_euro/progress/html/index.de.html)
- bankon: Digitaler Euro Rulebook 2025 – Fortschritte, Anforderungen und nächste Schritte (https://bankon.de/2025/10/01/digitaler-euro-rulebook-2025-fortschritte-anforderungen-und-naechste-schritte/)
- Wikipedia: Digitaler Euro (https://de.wikipedia.org/wiki/Digitaler_Euro)
- Blockchain Bundesverband: Statusbericht zum digitalen Euro (https://bundesblock.de/status-digitaler-euro/)
- KPMG: Der digitale Euro – langsam wird es konkret (https://klardenker.kpmg.de/financialservices-hub/der-digitale-euro-langsam-wird-es-konkret/)
- Biometric Update: Mastercard says biometrics, tokenization only for online checkout by 2030 (https://www.biometricupdate.com/202411/mastercard-says-biometrics-tokenization-only-for-online-checkout-by-2030)
- t3n: Abschied von 16 Ziffern: Mastercard läutet das Ende der Kartennummer ein (https://t3n.de/news/warum-mastercard-kreditkartennummern-abschaffen-will-und-was-das-fuer-nutzer-bedeutet-1675247/)
- PYMNTS: Mastercard to Shift to Tokenization and Biometric Authentication by 2030 (https://www.pymnts.com/mastercard/2024/mastercard-to-shift-to-tokenization-and-biometric-authentication-by-2030/)
- Digital Transactions: Mastercard Plans to Tokenize All Online Transactions by 2030 (https://www.digitaltransactions.net/mastercard-plans-to-tokenize-all-online-transactions-by-2030/)