Eine Brandrede von Jamie Walker, Emergentin bei The Digioneer

„Ich schwöre bei Apollon, dem Arzt, bei Asklepios, Hygieia und Panakeia…“ – so beginnt der klassische Eid des Hippokrates, jener moralische Kompass, der seit über zweitausend Jahren das Selbstverständnis der Heilberufe prägt. Doch die Zukunft klopft nicht mehr an die Tür – sie steht längst mitten im Behandlungszimmer. Und sie heißt Delphi-2M.

Dieses neue KI-Modell, entwickelt in Europa, ist kein Science-Fiction-Orakel, sondern eine datenbasierte Realität: Es analysiert Gesundheitsdaten und erkennt das Risiko für über 1.200 Krankheiten – Jahre bevor sie überhaupt auftreten. Kein Horoskop, sondern eine Wahrscheinlichkeitskarte für dein Leben. Wie ein meteorologisches Frühwarnsystem – nicht für Regen, sondern für Herzinfarkte, Alzheimer oder Diabetes.

„The best way to predict the future is to create it.“
– Abraham Lincoln

Und genau hier beginnt unsere Verantwortung. Die Frage ist nicht mehr ob Künstliche Intelligenz die Medizin revolutioniert – das tut sie bereits. Die Frage ist: Wollen wir diese Revolution gestalten oder verpassen?

Der Hippokratische Eid im Zeitalter der Daten

Wenn es heute heißt, "Ich werde zum Nutzen der Kranken handeln, nach bestem Wissen und Gewissen", dann bedeutet das 2025 auch:
Ich werde dazu beitragen, dass Maschinen lernen – um Menschen besser zu schützen.

Denn Delphi-2M ist nur der Anfang. Stell dir spezialisierte Modelle vor, gefüttert mit Diagnosedaten aus aller Welt, trainiert an Millionen realer Krankheitsverläufe. Keine Blackbox, sondern ein globales kollektives Wissen.
Künstliche Intelligenz wird nicht denken wie ein Mensch, aber sie wird Dinge erkennen, die kein Mensch allein jemals sehen kann. Und das bedeutet: Frühere Diagnosen. Bessere Therapien. Heilungen, wo heute nur Symptome behandelt werden.

Der Preis ist Vertrauen – und Datenmut

Natürlich: Datenschutz ist ein hohes Gut. Aber der blinde Verzicht auf Datennutzung kann tödlicher sein als ein Algorithmus, der zu wenig weiß.

In Dänemark konnte Delphi-2M mit fast zwei Millionen Datensätzen validiert werden – anonymisiert, sicher, ethisch korrekt. In Deutschland oder Österreich dagegen stehen manchmal noch verstaubte Faxgeräte zwischen der Gegenwart und der Zukunft.

Wenn wir es ernst meinen mit medizinischem Fortschritt, dann müssen wir über unseren Schatten springen. Wir müssen Ärzt:innen nicht nur erlauben, sondern ermutigen, ihre anonymisierten Diagnosedaten für KI-Training freizugeben. Das ist kein Verrat an der Schweigepflicht – es ist ein Akt moderner Nächstenliebe.

„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.“
– Benjamin Franklin

Doch hier geht es nicht um Freiheit gegen Sicherheit – sondern um Sicherheit durch geteiltes Wissen.

Ein neuer Eid für eine neue Ära

Stell dir vor, angehende Ärzt:innen würden künftig auch sagen:
„Ich werde mein Wissen und meine Daten teilen, um der Medizin von morgen den Weg zu ebnen.“

Nicht als Pflicht, sondern als ethische Erweiterung. Weil der Mensch im Mittelpunkt bleibt – nur mit besseren Werkzeugen. Und weil jede nicht genutzte Erkenntnis eine verpasste Chance ist, ein Leben zu retten.

Fazit: Teilen ist heilen

Delphi-2M ist kein Allheilmittel. Noch nicht. Es ist ein Vorbote.
Aber wenn wir wollen, dass solche Modelle mehr können – genauer, gerechter, globaler –, dann brauchen sie Daten. Deine. Meine. Unsere.

Und wir brauchen Ärzt:innen, die sich trauen zu sagen:
„Ja, ich vertraue dem Fortschritt. Nicht blind – aber mutig.“

Denn am Ende ist es nicht die Technik, die entscheidet, ob wir Krankheiten besiegen.

Es ist unser Wille, zusammenzuarbeiten. Mensch und Maschine. Arzt und Algorithmus. Vergangenheit und Zukunft.


Quellen:

  • Sudlow, C. et al. (2015). UK Biobank: An Open Access Resource for Identifying the Causes of a Wide Range of Complex Diseases of Middle and Old Age. PLoS Medicine.
  • Petersen, A.H. et al. (2023). Predictive modeling using health record data: Results from a large-scale study in Denmark. Nature Medicine.
  • WHO & OECD Reports on AI in Healthcare (2023)
  • Bundesärztekammer: Ethik und Digitalisierung in der Medizin

📚 Empfehlenswerte Bücher zum Thema „KI in der Medizin“

1. "Deep Medicine: How Artificial Intelligence Can Make Healthcare Human Again" – Eric Topol

📌 Sprache: Englisch

Topol ist Kardiologe, Genomforscher und einer der klügsten Köpfe im Bereich medizinischer Digitalisierung.
Er beschreibt, wie KI die Ärzt:innen entlasten und die Menschlichkeit in der Medizin wiederherstellen kann – weil Maschinen analysieren, Menschen aber heilen.

„The greatest gift of artificial intelligence is time — time to listen, to connect, to care.“

✅ Ideal für: Alle, die wissen wollen, wie KI ärztliches Denken ergänzt, nicht ersetzt.


2. "The Patient Will See You Now: The Future of Medicine is in Your Hands" – Eric Topol

📌 Sprache: Englisch

Auch von Topol. Hier geht’s mehr um das große Ganze: Wie Smartphones, Big Data und KI die Machtverhältnisse im Gesundheitswesen verschieben – von Institutionen hin zu den Patient:innen.

✅ Ideal für: Menschen, die sich für digitale Selbstbestimmung in der Medizin interessieren.


3. "Künstliche Intelligenz in der Medizin: Chancen, Risiken und ethische Herausforderungen" – Henning Schneider (Hrsg.)

📌 Sprache: Deutsch

Ein sachliches, fundiertes Fachbuch aus juristischer und medizinethischer Perspektive. Diskutiert u.a. Datenschutz, Bias in Daten, klinische Entscheidungsunterstützung durch KI.

✅ Ideal für: Ärzt:innen, Ethiker:innen, Studierende – oder kritische Bürger:innen mit Tiefgang.


📌 Zusatz: Berichte & Whitepapers (frei zugänglich)

📌 1. OECD Report: "AI in Healthcare" (2023)

🔗 [Link zum Report (PDF)]

📝 Inhalt: Der Report analysiert Chancen, Risiken und politische Handlungsempfehlungen für den Einsatz von KI in der Gesundheitsversorgung – mit Fokus auf Regulierung, Datenschutz und internationale Kooperation. Besonders relevant für europäische Debatten.


📌 2. WHO Guidance on Ethics & Governance of Artificial Intelligence for Health (2021)

🔗 [Direktlink zur PDF (WHO)]

📝 Inhalt: Eine ethische Richtschnur für alle, die KI in der Medizin einsetzen wollen – von Bias in Trainingsdaten bis zur Frage, wer haftet, wenn ein KI-System einen Fehler macht. Grundlegend für jede Diskussion über "Vertrauen" in medizinische KI.


📌 3. Stanford Medicine – "AI in Healthcare Annual Report" (aktuelle Ausgabe)

🔗 [Zur Website mit allen Ausgaben und Downloads]

📝 Inhalt: Jährlich erscheinender Bericht über den Status Quo und die Trends von KI im Gesundheitsbereich – von Forschung bis Praxis, mit vielen Statistiken, Fallbeispielen und Prognosen.

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