Eine Artikel von unserer Gastautorin Anna Gugerell

Ein Blick in die Zukunft: Hightech und Herzlichkeit

Durch eine moosbewachsene Fassade betrittst du einen Raum, dessen Tür sich durch dein Chip-Armband automatisch öffnet. Eine Stimme begrüßt dich mit deinem Namen. Im Inneren des Restaurants findest du eine offene Küche vor: dezent in Weiß und Silber gehaltene Roboterarme schneiden Karotten in präzise Stücke, kneten Teig und rühren in Töpfen. Daneben ein Koch, der nachwürzt und dich mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßt. Er wird gleich ein, an deine Blutwerte, Vorlieben und Allergien individuell angepasstes Menü für dich zubereiten.

Was kann KI in der Gastro?

Nein, kein ausgeflipptes Gastro-Konzept in Wien-Margareten. Zumindest noch nicht. Aber wenn es nach ChatGPT geht, könnte so ein urbanes Restaurant im Jahr 2035 aussehen. Schon heute tüfteln Unternehmen wie die delegate group an der nächsten Stufe der Digitalisierung: Software-Lösungen von Warenwirtschaft und Produktionsplanung bis Rezepturverwaltung, Menüplanerstellung und Einkaufs-Kalkulation werden zunehmend durch KI unterstützt. Übersetzungen von Speisekarten, die Berechnung des CO₂-Abdrucks eines Menüs oder die exakte Salzmenge für eine Woche sind bereits möglich. „Gerade arbeiten wir stark an der Verbesserung des Forecasting, wo die KI aufgrund von historischen Daten, Wetterprognosen und Einschätzungen prognostiziert, wie viele Essen tatsächlich gebraucht werden“, erklärt Andreas Oyrer, CEO der delegate group.

„Küche ist Handarbeit und keine Bildschirmarbeit.“ – Rita Huber, Gründerin „Rita bringt’s“

Kalkulation ohne Gefühl

Auch Rita Huber, Gründerin des Lieferservice- und Cateringbetriebs „Rita bringt’s“, würde sich ein Tool wünschen, das ihr bei der Menüplanung hilft – angepasst an Saisonen, Verfügbarkeiten und Einkaufspreise. „Küche ist Handarbeit und keine Bildschirmarbeit“, so die Gastronomin. Sie beschreibt sich als offen für neue Entwicklungen, sofern diese praxistauglich und sinnvoll sind.

„Geschmack gehört zu jenen Dingen, die die KI noch nicht kann.“ – Florian Schnabl, Koch

Ähnlich sieht das Florian Schnabl, der in seinem Catering-Business „Schnabls“ gerne mit KI experimentiert. Routinearbeiten und körperliche Aufgaben – wie das Einschlichten von Lieferungen – könnten seiner Meinung nach künftig digitalisiert werden. „Gegen einen Roboter, der die leeren Tabletts wegräumt, 18 Stunden am Tag arbeiten kann und über Nacht Erdäpfel schält, hätte mein Team bestimmt nichts einzuwenden“, meint er. Bis es so weit ist, hilft ihm KI vorrangig bei administrativen Aufgaben und der Ideenfindung für Rezepte: „Oft gebe ich bei ChatGPT ein, welche Zutaten vorhanden sind, und frage nach einem Rezept, zum Beispiel für einen Cocktail. So schlecht haben die bisher nicht geschmeckt, aber blind vertrauen kann man der Sache nicht.“ Wer Erfahrung hat, passt Rezepte ohnehin noch individuell an. „Geschmack gehört zu jenen Dingen, die die KI noch nicht kann“, betont Schnabl. Um ein Gericht abzuschmecken und auszubalancieren, fehlt der KI die wichtigste Zutat: das Gefühl.

„Ich sehe KI als nützliches Werkzeug, aber nicht als Ersatz für die Intuition, die ein guter Koch oder eine gute Köchin mitbringt.“ – Chelsea Frischknecht, personal chef

„Eine erfahrene Köchin liest ein Rezept und erkennt sofort, ob das funktionieren kann“, sagt Chelsea Frischknecht. Als Personal Chef achtet sie bei einem Rezept auf Variablen, die die KI (zumindest noch) nicht berücksichtigt: Balance der Aromen, Textur, Mundgefühl, Verfügbarkeit saisonaler Zutaten und die künstlerische Nuance eines gelungenen Gerichts. „Aus meiner Erfahrung eignet sich die KI besser dazu, Details einer Idee auszuarbeiten, die ich bereits habe, als selbst Ideen zu produzieren“, meint sie. Bei der Dokumentation von Rezepten, der Umrechnung von Mengenangaben oder Nährwertschätzungen ist ChatGPT aber nützlich. „Ich sehe KI als Werkzeug, aber nicht als Ersatz für Intuition.“

„KI darf kein Selbstzweck sein, sondern muss echte Mehrwerte bringen.“ – Andreas Oyrer, CEO von delegate

Ziel Nummer 1: Weniger Kosten, mehr Effizienz

Gastronom:innen scheinen sich in einer Sache einig: KI, die Routinearbeiten abnimmt und eher unliebsame Tätigkeiten übernimmt – ja, bitte. KI, die tatsächlich kocht, mit allem Fingerspitzengefühl: eher nicht. Die Ziele sind dabei klar: Kostenersparnis, Effizienzsteigerung, Gewinnmaximierung und Einsparung von Arbeitszeit. „KI darf kein Selbstzweck sein, sondern muss echte Mehrwerte bringen“, betont Oyrer. Laut WKO fehlten in Österreich 2023 rund 30.000 Fachkräfte im Tourismus, das AMS spricht von 15.000 offenen Stellen. „Wenn ich durch Automatisierung meinen Betrieb aufrechterhalten kann, ist das ein Fortschritt. Dabei geht es nicht um Stellenabbau, sondern um den Ausgleich des Personalmangels“, so Oyrer.

Ein Bereich, in dem KI einen echten Mehrwert liefern kann, ist die Nachhaltigkeit. Präzise Kalkulationen sparen nicht nur Kosten, sondern vermeiden auch unnötige Lebensmittelabfälle. Rund 20 Prozent der Lebensmittel, die in der Gastronomie weggeworfen werden, wurden noch gar nicht verarbeitet – sie verderben im Lager oder dürfen wegen abgelaufener Mindesthaltbarkeitsdaten nicht mehr verkocht werden. Hier setzt die App „Too Good To Go“ an: „Unsere KI-gestützte Software hilft Supermärkten, ihr Produktsortiment mit dem MHD gezielt zu managen. So kann Ware rechtzeitig abverkauft werden“, erklärt Elisabeth Strasser, Pressesprecherin.

Digitalisierung trifft neue Werte

Dieses Bewusstsein kommt auch bei den Gästen an. „Gesundheitsbewusstsein wird stärker, Klimalabels, Bio und vegetarische Ernährung rücken in den Fokus. Was vor zehn Jahren noch ging, ist heute nicht mehr akzeptabel. Betriebe müssen sich anpassen“, meint Oyrer. KI-gestützte Menüplanung trägt dazu bei, nachhaltiger und effizienter zu wirtschaften – und schont oft auch die Umwelt. Ohne eine solide Datenbasis ist das jedoch nicht möglich.

But first: Data.

Ohne belastbare Daten kann selbst die beste KI nichts bewirken. Das spaltet die Branche in zwei Lager:

  • Systemgastronomie, Kantinen & Großküchen: Sie haben Budget und Datenbank im Rücken, setzen schon jetzt auf KI-Tools.
  • Genussgastronomie & Fine Dining: Hier stehen der persönliche Kontakt und die analoge Erfahrung im Vordergrund.

„Unsere Kund:innen sind Küchenbetriebe, in denen teils tausende Essen pro Tag zubereitet werden“, sagt Oyrer. Chatbots für Bestellungen, Bezahlung per App und Roboter im Service gehören längst zum Alltag – zumindest in der Systemgastronomie. In einem gemütlichen Restaurant oder beim Fine Dining ist das schwer vorstellbar: Hier zählen weiterhin Atmosphäre und persönliche Geschichten. „Ehrlich gesagt brauch ich’s nicht, in einem Wirtshaus von einem Roboter bedient zu werden“, meint Schnabl. „Da geh ich ja wegen der Leute hin.“ Auch Oyrer beschreibt den Restaurantbesuch, bei dem Produzenten persönlich von ihren Produkten erzählen, als besonders.

Wie geht’s also weiter?

Komplett vor KI zu kapitulieren ist ebenso unklug wie sie zu ignorieren. Eckhart Hilgenstock, Autor von „KI-Einsatz in Unternehmen“, bringt es im Interview mit Falstaff auf den Punkt: „Nicht die KI wird die Gastronomie übernehmen, sondern die Betriebe, die KI einsetzen, werden das Rennen machen.“ Die Rahmenbedingungen sind individuell verschieden, und der Fachverband für Gastronomie verweist auf die Eigenverantwortung der Unternehmen. „Wichtig in Zusammenhang mit dem Einsatz von KI ist, dass ein ausgewogenes und flexibles regulatorisches Umfeld herrscht, das Innovation ermöglicht und gleichzeitig Rechte und Werte schützt“, so eine Sprecherin der Interessensvertretung. „Aktuell geht es noch ohne, aber wer weiterkommen will, wird an der KI nicht vorbeikommen“, ist sich Catering-Chefin Rita Huber sicher.


Quellen:

  • Interview mit Andreas Oyrer, delegate group, delegate-group.com
  • Interview mit Rita Huber, ritabringts.at
  • Interview mit Florian Schnabl, Schnabls Catering
  • Interview mit Chelsea Frischknecht, Personal Chef
  • Elisabeth Strasser, Pressesprecherin „Too Good To Go“, toogoodtogo.at
  • Eckhart Hilgenstock, Interview im Falstaff, falstaff.com
  • WKO und AMS Fachkräftebedarf 2023, wko.at, ams.at
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