Matilda Jordanova-Duda, Gastautorin
Ich stapfe abwechselnd mit den Füßen, versuche, in der Spur zu bleiben und den Rhythmus zu halten. Ich spiele nämlich den „Einspeiseregler“ im Solar Power-Cube des AES-Parks. Meine Aufgabe ist es, eine dezentrale erneuerbare Energiequelle ins Netz einzubinden und die Frequenz im virtuellen Stadtteil stabil zu halten. Gar nicht so einfach! Ich verursache ein paar Blackouts und scheitere am nächsten Level. „Kinder schaffen das meist besser“, tröstet mich Senta Pietschmann. Sie führt Besucher:innen durch den AES-Park im ostwestfälischen Blomberg und zeigt, wie die sogenannte All Electric Society funktionieren kann – eine Gesellschaft, die ihren Energiebedarf rein elektrisch und auf Basis erneuerbarer Quellen deckt.
2024 lag der Anteil Erneuerbarer im deutschen Strommix bei 60 Prozent. Den größten Zuwachs verzeichnete die Photovoltaik. Doch Strom allein reicht nicht – entscheidend ist die Systemintegration. Laut des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) braucht es nicht nur den Ausbau der Netze auf allen Spannungsebenen, sondern auch intelligente Steuerung, Speicher, Wärmepumpen und E-Mobilität. Letztere wachsen – aber nicht schnell genug.
Die Vision: Energie ganzheitlich denken
Die Vision scheint noch fern. Der Stromanteil am deutschen Gesamtenergiebedarf stagniert laut dem eMonitor des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI bei rund 20 Prozent. Wir heizen überwiegend mit Öl und Gas, fahren mit Benzin und Diesel, fliegen mit Kerosin und erzeugen industrielle Prozesswärme noch immer fossil. Und doch versichert die junge Mechatronik-Ingenieurin Pietschmann: „Die Technik ist längst da – sie muss nur sinnvoll eingesetzt werden. Und je selbstverständlicher ihre Nutzung wird, desto günstiger wird sie.“
Im AES-Park zeigt Phoenix Contact, wie es gehen könnte. Solar und Wind werden dort mit diversen Speichern, Wärmepumpen, Ladeinfrastruktur und Abwärmenutzung intelligent kombiniert. Gezeigt werden keine Prototypen, sondern marktverfügbare Technologien – nur clever vernetzt. Der fast autarke Kreislauf aus Erzeugung, Umwandlung, Speicherung und Verbrauch funktioniert weitgehend automatisiert. Über 4.500 Sensoren und 8.000 Datenpunkte erfassen Stromspannung, Energie- und Wasserverbrauch, Wetterdaten und Verkehrsflüsse.
Ein Showroom für die Stromgesellschaft
Der Hersteller Phoenix Contact – Spezialist für Elektrifizierung und Automatisierung – hat die Erlebniswelt an seinem Stammsitz für 25 Millionen Euro errichtet. In jeder Anwendung stecken eigene Komponenten: Steckverbinder, Mikroinverter und andere Bauteile aus der Fertigung des Familienunternehmens. Doch der Park ist nicht nur für Kunden und Fachpublikum gedacht. Der Eintritt ist kostenlos, und im Schnitt kommen rund 100 Besucher:innen pro Tag – von Schulklassen bis Vereinen. Heute schlendert eine Gruppe Paderborner Maschinenbau-Studierender durchs Gelände, während sich eine Männergruppe als „potenzielle Kunden“ vorstellt.
Die Erlebniswelt des Unternehmens Phoenix Contact will mit spielerischer Aufklärung Mythen und Ängsten begegnen.
Nur eine grüne Wand aus Hopfenranken trennt den AES-Park von der Fabrik. Darüber spenden halbtransparente PV-Module Schatten – ein praktisches Beispiel für Agri-Photovoltaik, das auch dem Hopfen guttut. Zwei überdimensionierte Solarblumen mit bifacialen Modulen folgen dem Sonnenlauf wie ihre botanischen Vorbilder. Insgesamt 550 PV-Module bedecken Dächer, Carports und Fassaden – sogar die Nordseite. „Angeblich bringt das nichts. Aber auch diffuses Licht hat Wirkung“, sagt Pietschmann.
Sonnenstrom auf Schritt und Tritt
Senta Pietschmann springt auf ein Rechteck aus dunkelgrauen Platten. Was wie Pflaster aussieht, ist begehbare Solartechnik. „Die Module sind fürs Drauftreten gemacht“, erklärt sie. Zehn dieser Solarsteine speisen jeweils über einen Mikroinverter ins Netz. Der Park erzeugt so jährlich rund 155 Megawattstunden Strom – zu 98 Prozent aus Sonnenlicht. Große Verbraucher sind Heizung, E-Mobilität, Beleuchtung, Gartenbewässerung, Datenkommunikation – und die zentrale Leitwarte.
Speicherung: Heute Batterie, morgen Wasserstoff
Wasser- und Biomassekraftwerke sucht man hier vergeblich – der Park ist zu klein. Auch ein Windrad passt nicht aufs Gelände, aber eine ausrangierte Gondel vermittelt das Erlebnis dennoch: Im weißen Glasfaser-Ei heult der Wind aus Lautsprechern, das Gehäuse schaukelt sanft, und im Inneren erfährt man, wie Windräder vor Vereisung und Blitzen geschützt werden.
Überschüssiger Strom wird in einem weißen Container mit Lithium-Eisenphosphat-Batterien gespeichert. „Den nutzen wir bei Dunkelflaute und Abendveranstaltungen“, so Pietschmann. Wenn der 1,2 MWh große Speicher voll ist, kann sogar das Werk mitversorgt werden. Ein kleinerer Batteriespeicher deckt den täglichen Bedarf für Ladepunkte. Langfristig ist eine Wasserstoff-Elektrolyse geplant.
Ein Szenario zeigt, wie wichtig bidirektionales Laden wäre: Fällt der Strom im Viertel aus, kann ein volles E-Auto den Haushalt drei Tage lang versorgen – oder nur zehn Stunden, wenn die Waschmaschine läuft und gestreamt wird. In der Simulation speist das Auto Strom ins Netz zurück – und prompt gehen die Lichter wieder an.
Wärme aus Eis: Kreislaufwirtschaft konkret
Unter den Wegen verlaufen Leitungen, die Abwärme aus Produktion und Batterieladung in einen unterirdischen Eisspeicher leiten: 100.000 Liter Wasser in einem Betonbecken, dazu ein Glykol-Wärmetauscher. Zwei große Wärmepumpen ziehen im Winter Wärme aus dem Wasser, bis es gefriert – die dabei gewonnene Energie heizt die Besucherräume. Im Sommer dient der Speicher zur Kühlung. Der aktuelle Energiefluss wird auf Bildschirmen visualisiert. Nur: Im Februar musste der Speicher wegen einer Panne komplett erneuert werden – zurzeit ist kaum Eis drin.
Nächster Schritt: Die AES-Factory
Der AES-Park wird laufend erweitert. In der Nähe steht bereits eine AES-Factory: ein voll elektrifiziertes Werk, das laut Unternehmensangaben 2 GWh pro Jahr erzeugt und 1,9 GWh selbst verbraucht – für Maschinenbau, Montage, Büros und Logistik. „Dort wollen wir bald auch Führungen anbieten“, sagt Pietschmann.