von Robert Prazak, Gastautor
Städte haben weltweit eine beinahe magische Anziehungskraft: Bis 2050 werden 68 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Auch in Österreich ist der urbane Raum verlockend, vor allem für Zugewanderte. Wien wies im Vorjahr das stärkste Bevölkerungswachstum auf; 2024 stieg die Bevölkerung in Wien um 1,1 Prozent – das ist der höchste Wert aller Bundesländer. Die Urbanisierungsrate wird hierzulande bis 2040 laut UN-Schätzungen auf rund 75 Prozent steigen. Hingegen erleben viele ländliche Regionen Abwanderung, Verlust von Arbeitsplätzen und einen Mangel an Infrastruktur, etwa bei der medizinischen Versorgung.
Kann die Digitalisierung helfen, diese Unterschiede zu verringern? Oder verschärft sie sogar das Ungleichgewicht, weil sich Städte als Smart Cities etablieren? Dazu müssen wir uns zunächst die Basis der digitalen Transformation ansehen, nämlich die Versorgung mit Breitbandinternet. Bei der Ausstattung mit Glasfasernetzen steht Österreich laut aktuellen Vergleichen im EU-Ranking auf den hintersten Plätzen: Nur rund jeder zweite Haushalt hat Zugang zu schnellem Internet, FTTH-Anschlüsse (also Glasfaser bis in die Wohnung) sind mit nur rund 1,6 Prozent extrem selten.
Dabei soll bis 2030 jeder Haushalt mit schnellem Internet versorgt werden – auch mit dem Hintergedanken der besseren Entwicklung ländlicher Räume. In der praktischen Umsetzung gibt es aber gerade in ländlichen Regionen oft haushohe Unterschiede: Wenn Gemeinden die Anbindung ans Breitbandnetz forcieren, werden Unternehmen und Privatpersonen inzwischen angeschlossen. Fehlt dieser Wille (oder das Geld), bleibt die Region digital abgehängt.
Die Notwendigkeit für rasches, stabiles Internet steigt, weil ortsunabhängiges Arbeiten seit der Covid-Pandemie fixer Bestandteil unserer Arbeitswelt geworden ist. Zwei Tage im Büro, drei Tage Home Office – diese Aufteilung ist heute selbstverständlich und trägt zur besseren Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatleben und darüber hinaus zum Klimaschutz (Stichwort Pendelverkehr) bei. Das könnte Wanderungsbewegungen in Richtung Stadt bremsen; viele Regionen fördern das gezielt, indem sie etwa sogenannte „Dorf Offices“ errichten – Coworking-Spaces im ländlichen Raum. Solche gibt es beispielsweise in der Region Fuschlsee-Mondsee oder im oberösterreichischen Gallneukirchen.
Weitere digitale Angebote sollen den ländlichen Raum aufwerten: Wichtig ist etwa die Telemedizin, um fehlende medizinische Infrastruktur auszugleichen. So werden in Tirol und der Steiermark beim Projekt „Tele-Dermatologie“ Menschen mit dermatologischen Problemen behandelt; bei „HerzMobil“ werden Patienten mit Herzinsuffizienz auf kosteneffektive Weise versorgt. Auch der Online-Handel kann helfen, das Leben am Land zu vereinfachen und lange Fahrtwege zu verhindern – beispielsweise über die Bestellung regionaler Waren via Internet, die dann in Shops vor Ort abgeholt werden können. Ein solches Projekt läuft etwa in Scharnstein in Oberösterreich; unzählige ähnliche Projekte laufen in ganz Österreich.
Zentrale Bedeutung für die Wirtschaftskraft einer Region hat die Landwirtschaft – und auch diese profitiert von digitalen Tools. Automatische Lenksysteme halten Traktoren in der Spur; Farm-Management-Systeme erstellen genaue Pläne zum Ausbringen von Dünger; Hack- und Melkroboter erleichtern die tägliche Arbeit; Smartphone-Apps liefern Wetterprognosen und Monitoring von Schädlingen. Im Zuge des Aktionsplans „Smart Farming“ will das Landwirtschaftsministerium die kleinstrukturierte Landwirtschaft forcieren, unter anderem durch Weiterbildungsangebote, Forschung und Förderungen.
Und doch scheinen Städte hinsichtlich der Digitalisierung noch rascher voranzukommen: Wien etwa gilt nicht nur in Österreich, sondern in Europa als Paradebeispiel für den Umbau zur Smart City. Städtische Services wie Termine der Müllabfuhr laufen über eine App, Behördendaten werden digital aufbereitet und bereitgestellt, E-Mobilität und Carsharing werden forciert. Gerade in Kombination mit Klimaschutzprojekten will die Hauptstadt damit ihre Attraktivität weiter steigern; selbst wenn Problemfelder wie hoher Bedarf an Wohnraum oder große Belastung des Schulsystems nicht zu verleugnen sind.
Weltweit leben laut UNO derzeit rund 56 Prozent der Bevölkerung in städtischen Gebieten, bis 2050 werden es fast 70 Prozent sein. Zum Vergleich: 1950 waren es erst 30 Prozent. In Ländern wie Frankreich, Israel oder dem Vereinigten Königreich liegt die Urbanisierungsrate schon über 80 Prozent.
In Österreich sind es rund 60 Prozent, die in Städten leben; zählt man das Umland dazu sogar 70 Prozent. Eine Besonderheit ist die Größe von Wien – in der Hauptstadt lebt rund ein Fünftel der Bevölkerung. Dabei muss speziell für Österreich genauer unterschieden werden: Es ist ein Trend zur Suburbanisierung zu beobachten, das bedeutet den Zuzug in das Umland einer Stadt – etwa den sogenannten Speckgürtel rund um Wien.
Der Hintergrund: Speziell Menschen über 30 wollen zwar in der Nähe einer Stadt leben, aber nicht direkt im Stadtzentrum. Ein weiterer Aspekt ist die wachsende Bedeutung von Multilokalität, also das Leben an mehreren Wohnsitzen. In Österreich verfügen Schätzungen zufolge bereits rund 1,2 Millionen Menschen über mehr als einen Wohnsitz. Auch deshalb lassen sich Stadt und Land nicht mehr so einfach aufteilen.
Was kann also die Politik tun, um die Digitalisierung zu nutzen, um das Gleichgewicht im (geographischen) Raum zu fördern? Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie chinesischer Forschender, die den Prozess der Digitalisierung zwischen urbanen und ländlichen Gebieten anhand der Entwicklung in 30 chinesischen Provinzen untersuchte. Dabei zeigt sich, dass mit fortschreitender Digitalisierung zwar die Entwicklungsniveaus sowohl in urbanen als auch in ländlichen Räumen erheblich anstiegen, gleichzeitig jedoch einige Regionen weiterhin mit digitalen Ungleichheiten zu kämpfen haben. Auffällig ist ein Phänomen: In wirtschaftlich hochentwickelten Provinzen bestehen ein hohes Entwicklungsniveau, zugleich aber weiterhin hohe urbane-ländliche Unterschiede. Es wurde klar, dass digitalisierte Angebote nicht gleich zwischen Stadt und Land verteilt sind. Um diese Ungleichheiten zu verhindern, brauche es eine stärkere Förderung urban-ruraler Integration, Investitionen in digitale Bildung und insgesamt bessere regionale Koordination, meinen die Studienautoren.
In Europa wurde zuletzt im Zuge des EU-Projekts dRural versucht, den ländlichen Raum zu fördern und vor allem einen besseren Zugang zu digitalen Dienstleistungen abseits der Städte zu ermöglichen: Zwischen 2021 und 2024 wurde dafür ein digitaler Marktplatz für Dienstleistungen in ländlichen Regionen aufgebaut; teilgenommen haben unter anderem die Extremadura in Spanien und Gelderland Midden in den Niederlanden. Nach Ende des Projekts bleiben diese Marktplätze bestehen und werden weiter genutzt. Die Erkenntnis: Nur durch die Verbindung von Infrastrukturmaßnahmen mit neuen Dienstleistungen können abgelegene Gebiete in die Wertschöpfungskette eines Landes – und der gesamten EU – eingebunden werden.
Nach der Typologie der Europäischen Kommission für lokale Verwaltungseinheiten leben rund 30 Prozent der Bevölkerung in Österreich in dicht und mitteldicht besiedelten Gemeinden, rund 41 Prozent in ländlichen Gebieten. Für Österreich nennt Statistik Austria vier Hauptklassen – diese werden anhand der Einwohnerzahl (Urbane Zentren) und anhand der Erreichbarkeit ermittelt: Urbane Zentren (Stadtregionen); Regionale Zentren; Ländlicher Raum im Umland von Zentren (Außenzone); Ländlicher Raum. „Stadt und Land sind keine statischen, sondern dynamische Zuschreibungen“, erklärt Wirtschaftsgeograph Jakob Eder. So überarbeite beispielsweise die Statistik Austria alle paar Jahre ihre Urban-Rural-Typologie – basierend darauf, wie sich Städte und ländliche Räume zuletzt entwickelt haben.
Ein anderes EU-Projekt, das im Vorjahr gestartet wurde und bis Ende 2027 laufen wird, verfolgt ähnliche Ziele: Bei Smart Era sollen die typischen strukturellen Herausforderungen ländlicher Gebiete – unter anderem mangelnde Erreichbarkeit, begrenzte Arbeitsplätze und demographische Überalterung – mit Hilfe der Digitalisierung (und entsprechender politischer Steuerung) ausgeglichen werden.
Werden also Divergenzen zwischen Stadt und Land – nicht nur echte räumliche und wirtschaftspolitische Unterschiede, sondern auch jene in den Köpfen der Bevölkerung – durch die Digitalisierung aufgehoben? Um es auf typisch österreichische Weise zu beantworten: Jein. Denn einerseits bietet die digitale Anbindung ländlicher Räume Chancen auf ortsunabhängiges Arbeiten, auf steigende Attraktivität und für das Überwinden klassischer Nachteile wie das Fehlen von Infrastruktur, etwa Medizinversorgung oder Bildungseinrichtungen. Andererseits wäre es zu einfach, sich nur darauf zu verlassen. Jakob Eder (Interview siehe unten) meint: „Ob die Digitalisierung eine Chance für ländliche Räume sein kann, hängt auch von anderen Faktoren ab.“ Würden sich Faktoren wie Abwanderung, demographische Alterung oder der Verlust von Arbeitsplätzen summieren, wäre es allzu optimistisch davon auszugehen, dass eine Glasfaserleitung allein das Ruder herumreißen kann.
Interview
„Es ist wichtig, die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum zu sichern“
Jakob Eder ist Wirtschaftsgeograph und heute unter anderem externer Lehrbeauftragter an der Universität Wien. 2019 hat er sich in einer Studie angesehen, ob die Einteilung in Stadt und Land überhaupt so einfach möglich ist; zu dem Thema hat er 2020 an der Universität Wien promoviert.
„Die Motivation für die Untersuchung war die Frage, ob Stadt und Land überhaupt so einfach definiert werden können, wie es in der öffentlichen Diskussion geschieht“, sagt Eder zu The Digioneer.
Die Annahmen, was Stadt und Land ausmachen, würden ja oft auf sehr allgemeinen Vorstellungen bzw. Vorurteilen basieren. Für die Studie hat er mit Entwicklungsindikatoren gearbeitet, um zu zeigen, dass sich die Situation einer Region ändern kann. „Das ist ja die Grundlage für jedes politische Handeln, denn wenn die Verhältnisse am Land und in der Stadt einzementiert wären, wäre jede Initiative von Vornherein aussichtslos.“
Breitbandinternet ist für ihn die Grundbedingung, dass ländliche Regionen die Digitalisierung nutzen können. „Es reicht aber nicht, nur ein Gewerbegebiet mit Glasfaseranbindung zu bauen, um eine Region plötzlich attraktiv zu machen.“

Denn es steht fest: Städte üben weiterhin eine hohe Anziehungskraft aus, speziell für jüngere Menschen in der Ausbildungsphase um die 20. Dazu kommt: „Obwohl Home-Office inzwischen in Österreich weitverbreitet ist, ist der persönliche Austausch für Produktivität und Innovation bedeutend. Daran wird sich wenig ändern.“ Für Österreich gilt: Wien hat aufgrund seiner Größe als einzige Metropole des Landes eine Sonderstellung.
Da ist es nach Ansicht von Eder gar nicht nötig, sich als Smart City zu positionieren, um innerhalb Österreichs noch attraktiver zu sein. „Vielmehr steht Wien in Konkurrenz mit anderen großen europäischen Städten.“
Was kann die Politik tun? Eder meint: „Es ist wichtig, die Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen auch in der Zukunft zu sichern, dabei wird die Digitalisierung eine immer wichtigere Rolle spielen, etwa durch digitale Bildungsangebote wie ein Fernstudium oder durch Gesundheitsversorgung über Telemedizin.“
Zahlen
Rund 9,2 Millionen Menschen lebten per Stichtag 1. Jänner 2025 in Österreich. Zum Vergleich: 2020 waren es 8,901 Millionen.
Plus 1,1% betrug das Bevölkerungswachstum in Wien im Jahr 2024 – der größte Zuwachs aller Bundesländer, der Bundesdurchschnitt war ein Plus von 0,4%.
834.000 Binnenwanderungen gab es 2023 in Österreich, also Umzüge innerhalb des Landes.
48 Prozent der ländlichen Bevölkerung der EU nutzen Glasfaser-Internet.
56,2 % der Weltbevölkerung leben in städtischen Gebieten, bis 2050 werden es 68 Prozent sein.
3 % der Erdoberfläche wird von Städten eingenommen, die aber für rund 75 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind.