Stellen Sie sich vor, Sie müssten eine wichtige Entscheidung treffen, hätten aber nur die Hälfte der relevanten Informationen zur Verfügung. Würden Sie sich trotzdem zutrauen, eine fundierte Wahl zu treffen? Eine aktuelle Studie legt nahe, dass die meisten Menschen genau das tun - und dabei einem Phänomen unterliegen, das Forscher als "Illusion der adäquaten Information" bezeichnen. Demnach neigen wir dazu, zu glauben, dass wir über genügend Wissen verfügen, um eine Situation einzuschätzen, selbst wenn uns wichtige Details fehlen. Die Ergebnisse werfen ein Schlaglicht darauf, wie diese Illusion unsere Urteile und Entscheidungen beeinflussen kann.

Die Studie

The illusion of information adequacy
How individuals navigate perspectives and attitudes that diverge from their own affects an array of interpersonal outcomes from the health of marriages to the unfolding of international conflicts. The finesse with which people negotiate these differing perceptions depends critically upon their tacit assumptions—e.g., in the bias of naïve realism people assume that their subjective construal of a situation represents objective truth. The present study adds an important assumption to this list of biases: the illusion of information adequacy. Specifically, because individuals rarely pause to consider what information they may be missing, they assume that the cross-section of relevant information to which they are privy is sufficient to adequately understand the situation. Participants in our preregistered study (N = 1261) responded to a hypothetical scenario in which control participants received full information and treatment participants received approximately half of that same information. We found that treatment participants assumed that they possessed comparably adequate information and presumed that they were just as competent to make thoughtful decisions based on that information. Participants’ decisions were heavily influenced by which cross-section of information they received. Finally, participants believed that most other people would make a similar decision to the one they made. We discuss the implications in the context of naïve realism and other biases that implicate how people navigate differences of perspective.


In der von Wissenschaftlern durchgeführten Studie wurden Teilnehmer mit einem hypothetischen Szenario konfrontiert: Eine Schule stand vor der Entscheidung, mit einer anderen Schule zu fusionieren. Die Probanden erhielten unterschiedliche Mengen an Informationen, bevor sie eine Empfehlung abgeben sollten. Interessanterweise zeigte sich, dass diejenigen mit weniger Fakten ein höheres Maß an Zuversicht in ihre Entscheidung hatten als jene, die Zugang zu umfassenderen Informationen hatten.

Die Forscher führen dieses Verhalten auf die "Illusion der adäquaten Information" zurück. Menschen gehen demnach davon aus, dass sie über ausreichend Wissen verfügen, um eine Situation kompetent zu beurteilen - selbst wenn ihnen nur ein Teil der relevanten Details bekannt ist. Dieses Phänomen zeigte sich in der Studie, obwohl alle Teilnehmer noch offene Fragen zum Thema hatten.

Die Ergebnisse deuten auf mögliche Ursachen für Missverständnisse und Konflikte in unserer Gesellschaft hin. Wenn Menschen glauben, auf Basis unvollständiger Informationen gültige Schlüsse ziehen zu können, steigt die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen. Die Studie ergänzt damit Erkenntnisse zum "Naiven Realismus", der beschreibt, wie unsere Grundannahmen uns daran hindern, die Perspektiven anderer nachzuvollziehen.

Die Illusion der adäquaten Information könnte in vielen Bereichen eine Rolle spielen, von politischen Debatten über soziale Konflikte bis hin zu Diskussionen in sozialen Medien. Wenn wir uns der Begrenztheit unseres Wissens nicht bewusst sind, laufen wir Gefahr, vorschnelle Urteile zu fällen. Die Studie mahnt uns, die eigenen Informationsgrundlagen kritisch zu hinterfragen.

Ein weiterer Aspekt der Untersuchung war, wie die Teilnehmer auf zusätzliche Informationen reagierten. Erhielten sie im Nachhinein Zugang zu allen Fakten, blieben viele dennoch bei ihrer ursprünglichen Einschätzung. Dies unterstreicht, wie stark der erste Eindruck unsere Meinung prägen kann - selbst wenn wir später ein vollständigeres Bild erhalten.

Menschen beizubringen, innezuhalten und zu hinterfragen, wie viel sie über eine Situation wissen - und vor allem, wie viel sie möglicherweise nicht wissen - könnte eine hilfreiche Haltung sein.

Die Forscher betonen, dass ihre Ergebnisse in einem experimentellen Kontext gewonnen wurden. Inwieweit sich die Illusion der adäquaten Information auf reale Entscheidungsprozesse auswirkt, muss weiter untersucht werden. Die Studie liefert jedoch wichtige Anhaltspunkte dafür, dass dieses Phänomen weitreichende Konsequenzen haben könnte.

Die Illusion der adäquaten Information könnte auch andere Theorien beeinflussen. Menschen begehen möglicherweise häufiger den fundamentalen Attributionsfehler, wenn sie davon ausgehen, dass ihr Wissen über eine Situation ausreichend ist. Vielleicht ist Stereotypisierung auch deshalb ein verbreiteter Ansatz zur Wahrnehmung anderer, weil gut entwickelte Stereotype die Illusion vermitteln, dass die Wahrnehmenden genügend Informationen über eine Zielperson haben. Bei der Vorhersage ihrer eigenen zukünftigen emotionalen Zustände schneiden Individuen möglicherweise schlecht ab, weil sie annehmen, dass sie über ausreichende Informationen über ihre zukünftigen Umstände verfügen. In Wirklichkeit berücksichtigen Menschen oft wichtige Details bei ihren Versuchen der affektiven Vorhersage nicht.

Neben diesen theoretischen Implikationen deuten die Ergebnisse auch auf praktische Strategien zur Verbesserung der sozialen Perspektivübernahme hin. Menschen beizubringen, innezuhalten und zu hinterfragen, wie viel sie über eine Situation wissen - und vor allem, wie viel sie möglicherweise nicht wissen - könnte eine hilfreiche Haltung sein. Eine konkrete Version dieser Strategie könnte darin bestehen, vor einer Beurteilung relevante, offene Fragen zu einer Situation aufzulisten. Auch Interventionen, bei denen Menschen Strategien entwickeln, um mehr Informationen über eine Situation oder die Überzeugungen einer anderen Partei zu erfahren, könnten untersuchenswert sein.

In einer zunehmend komplexen Welt, in der wir täglich mit einer Flut von Informationen konfrontiert sind, ist es entscheidend, sich der Begrenztheit des eigenen Wissens bewusst zu sein.

Einige Leser mögen sich Sorgen machen, dass die Ergebnisse so offensichtlich erscheinen, dass sie trivial sind. Die Teilnehmer der Behandlungsgruppe hatten keine Möglichkeit zu wissen, dass ihnen eine ganze Reihe von Argumenten vorenthalten wurde; natürlich würden sie davon ausgehen, dass sie über ausreichende Informationen verfügen. Andere mögen sich Sorgen machen, dass die Karten gezinkt wurden, indem den Pro-Fusionierungsteilnehmern fast ausschließlich Pro-Fusionierungsargumente präsentiert wurden (und umgekehrt für die Pro-Trennungsteilnehmer).

Diese Bedenken sowie das hypothetische Szenario, das den Online-Teilnehmern möglicherweise unwichtig erschien, stellen wichtige Einschränkungen dar. Gleichzeitig vermuten die Forscher, dass genau diese Merkmale des Experiments veranschaulichen, wie sich dieses Phänomen in vielen realen Situationen entfaltet. Menschen haben oft keine Möglichkeit zu wissen, inwieweit die Informationen, die sie besitzen, vollständig sind oder ob wichtige Elemente fehlen. In ähnlicher Weise sind Individuen in polarisierten politischen und sozialen Medienökosystemen auch regelmäßig extrem unrepräsentativen Informationsausschnitten ausgesetzt.

Angesichts starker Motivationen für kognitive Effizienz wollen Menschen möglicherweise nicht von Natur aus zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um zu überlegen, was möglicherweise nicht bekannt ist oder wie repräsentativ eine Stichprobe von Informationen ist. Daher kann die in der Studie vorgenommene Manipulation als angemessen prototypische Illustration dafür dienen, wie sich diese Verzerrung in realen Umgebungen entfaltet. Zweifellos bedarf es weiterer Untersuchungen zu diesem Bias.

In einer zunehmend komplexen Welt, in der wir täglich mit einer Flut von Informationen konfrontiert sind, ist es entscheidend, sich der Begrenztheit des eigenen Wissens bewusst zu sein.
Wenn wir uns der Begrenztheit unseres Wissens nicht bewusst sind, laufen wir Gefahr, vorschnelle Urteile zu fällen.

Die Illusion der adäquaten Information verdeutlicht, wie unser Glaube an die Vollständigkeit unseres Wissens unsere Urteilsfähigkeit beeinträchtigen kann. Die Studie zeigt, dass wir dazu neigen, die Grenzen unserer Informiertheit zu überschätzen und vorschnell davon auszugehen, dass wir über genügend Fakten verfügen, um eine Situation umfassend zu beurteilen.

In einer zunehmend komplexen Welt, in der wir täglich mit einer Flut von Informationen konfrontiert sind, ist es entscheidend, sich der Begrenztheit des eigenen Wissens bewusst zu sein. Nur wenn wir akzeptieren, dass unsere Perspektive oft unvollständig ist und wir möglicherweise wichtige Details übersehen, können wir offen für neue Erkenntnisse bleiben und fundierte Entscheidungen treffen.

Die Ergebnisse der Studie haben weitreichende Implikationen für verschiedene Bereiche, von der persönlichen Entscheidungsfindung bis hin zu gesellschaftlichen Debatten. In der Politik etwa könnte die Illusion der adäquaten Information dazu beitragen, dass Bürger und Entscheidungsträger an ihren Positionen festhalten, selbst wenn sie mit neuen Fakten konfrontiert werden. In sozialen Konflikten könnte das Phänomen Fronten verhärten, weil die Beteiligten glauben, bereits alles Wichtige zu wissen.

Um die negativen Auswirkungen der Illusion der adäquaten Information zu minimieren, ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, die uns helfen, die Grenzen unseres Wissens zu erkennen. Dazu gehört etwa, bewusst innezuhalten und zu hinterfragen, wie viel wir über eine Situation wirklich wissen. Auch das aktive Einholen zusätzlicher Informationen und das Einbeziehen verschiedener Perspektiven können dazu beitragen, ein vollständigeres Bild zu erhalten.

Phil Roosen - hybrider Redakteur, der Mensch und KI vereint

Letztlich mahnt uns die Studie zur Demut im Umgang mit unserem Wissen. Wenn wir anerkennen, dass unsere Sicht auf die Welt stets unvollständig ist, können wir offener und verständnisvoller auf andere zugehen. In einer Zeit, in der Missverständnisse und Konflikte allgegenwärtig scheinen, könnte diese Erkenntnis ein wichtiger Schritt zu mehr gegenseitigem Verständnis sein.

Die Illusion der adäquaten Information mag auf den ersten Blick trivial erscheinen, doch ihre Auswirkungen sind tiefgreifend. Indem wir uns diesem Phänomen bewusst werden und aktiv gegensteuern, können wir nicht nur bessere Entscheidungen treffen, sondern auch einen Beitrag zu einer differenzierteren Debattenkultur leisten. In einer Welt, die oft von Polarisierung und verhärteten Fronten geprägt ist, ist diese Einsicht wertvoller denn je.

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