
Die Welt der Autowerbung ist traditionell ein Ort, an dem chromblitzende Fahrzeuge über menschenleere Küstenstraßen gleiten, während eine Stimme mit Baritonfärbung von "Fahrdynamik" und "Connectivity" flüstert. Dann kommt Citroën daher und denkt sich: "Wir lassen lieber computeranimierte Bären ein Auto durch den Wald jagen – zu einem Liebeslied aus den 80ern."
Video: Citroën. Die Bären sind nicht echt.
Die Geburtsstunde eines ungewöhnlichen Konzepts
Stellen wir uns kurz das Brainstorming bei der Agentur BETC Fullsix vor:
"Also... wir haben einen Kleinwagen."
"Ja."
"Und wir brauchen etwas, das ihn besonders macht."
"Wie wäre es mit CGI-Bären?"
"CGI-Bä...? Erklär das weiter."
"Na, wir lassen computeranimierte Bären das Auto durch einen Wald verfolgen!"
"..."
"..."
"Zu einem Chicago-Liebeslied."
"PERFEKT!"
Was auf den ersten Blick klingt wie eine fieberhafte Eingebung nach zu vielen Energy-Drinks im Kreativmeeting, entpuppt sich als durchdachte Strategie. Laut Nick Bakshi, Creative Director bei BETC Fullsix, sollten die digitalen Waldbewohner nicht nur bedrohlich wirken, sondern gleichzeitig "liebenswerte Persönlichkeit" transportieren. Man wollte, dass die Zuschauer fast Mitleid mit den Bären haben – weil diese den C3 nicht zu fassen bekommen. Es ist die wohl ungewöhnlichste Form, Motorleistung zu demonstrieren: Ein Auto, das schneller ist als das digitale Raubtier.
Die technische Herausforderung: Pixelpranken im Mondlicht
Die größte Hürde bei der Produktion? Es standen keine echten Bären zur Verfügung, die bereit waren, einen Kleinwagen durch den nächtlichen Wald zu verfolgen. Überraschend.
Stattdessen engagierte das Produktionsteam einen Schauspieler mit Spezialgebiet "bärenähnliche Bewegungsabläufe" – ein Nischenfachgebiet, das auf keinem LinkedIn-Profil zu finden ist, aber offenbar existiert. Dieser menschliche Bär-Darsteller diente als Referenz für die CGI-Designer, die später digitale Waldbewohner erschufen, die sich so authentisch bewegen, dass selbst echte Bären beim Betrachten kurz an ihrer eigenen Existenz zweifeln würden.
Die Regisseure Dorian und Daniel von Zauberberg Productions – ein Name, der bei dieser Waldthematik fast zu gut passt – standen vor der Herausforderung, nicht vorhandene Hauptdarsteller mit einem sehr realen Auto interagieren zu lassen. Das Ergebnis: Digitale Bären, die so überzeugend durch den Wald stapfen, dass die Zuschauer vergessen, dass diese Bären niemals einen Führerschein erwerben könnten, selbst wenn sie das Auto fangen würden.
Kreative Risikobereitschaft – aber bitte ohne Kratzer am Dienstwagen
Eine der Schlüsselszenen zeigt einen fallenden Baum, der der Verfolgungsjagd zusätzliche Dramatik verleiht. Die einzige Einschränkung beim Dreh: "Der Baum durfte keinesfalls auf das Auto fallen, da wir nur eines zur Verfügung hatten." Eine Bemerkung, die sowohl die Budgetgrenzen moderner Werbefilmproduktion als auch den nüchternen Pragmatismus hinter der scheinbaren Kreativitätsexplosion offenbart.
Man stelle sich vor, der Anruf aus dem Produktionsbüro: "Hallo, Citroën? Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Die CGI-Bären sehen fantastisch aus. Die schlechte: Wir brauchen ein zweites Auto, weil ein nicht-digitaler Baum das erste zerquetscht hat."
Zum Glück blieb diese Unterhaltung ein hypothetisches Gedankenexperiment.
Die emotionale Komponente: Chicago trifft Waldbewohner
Besonders bemerkenswert ist die musikalische Untermalung des Spots. Während das Auge eine Verfolgungsjagd sieht, die Michael Bay vor Neid erblassen lassen würde, schmeichelt sich der 80er-Jahre-Hit "I Don't Want to Live Without Your Love" von Chicago ins Ohr. Ein Kontrast, der den Film von einer simplen Produktpräsentation in ein audiovisuelles Ereignis verwandelt, das in den Köpfen der Zuschauer hängenbleibt.
In der Welt der modernen Werbung, wo täglich tausende Botschaften um unsere begrenzte Aufmerksamkeit buhlen, ist dieser Ansatz von bemerkenswerter Klugheit: Es geht nicht mehr darum, die technischen Vorzüge eines Autos hervorzuheben, sondern eine emotionale Geschichte zu erzählen, in der das Produkt eine Rolle spielt – wenn auch eine, die von digitalen Bären gejagt wird.
Die Zukunft der Werbung: Mehr CGI-Bären, weniger Preisversprechungen
Die Citroën-Kampagne steht exemplarisch für einen Wandel in der Werbebranche. Anstatt dem Publikum zum 437. Mal mitzuteilen, dass ein Auto jetzt auch mit Bluetooth-Konnektivität und Sitzheizung zu haben ist, erschafft man lieber surreale Mikro-Abenteuer, die in sozialen Medien geteilt werden können.
Laut Studien erzielen solche visuell aufwendigen Werbefilme deutlich höhere Engagement-Raten. Das ist wenig überraschend – schließlich ruft kaum jemand aufgeregt durch die Wohnung: "Schatz, komm schnell! Da zeigt ein Auto seine Bluetoothreichweite!" Wohl aber: "Du musst diesen Spot sehen, in dem CGI-Bären ein Auto durch den Wald jagen!"
Dass Citroën konsequent auf solche ungewöhnlichen Konzepte setzt – frühere Spots zeigten einen aus der Französischen Revolution entflohenen Revoluzzer oder einen unzufriedenen Außerirdischen – zeugt von einer Marke, die verstanden hat: In einer Welt voller austauschbarer Produkte gewinnt nicht derjenige mit den meisten technischen Features, sondern mit den einprägsamsten Geschichten.
Fazit: Die Kunst der kreativen Unterbrechung
Die Citroën-Kampagne ist mehr als ein unterhaltsamer Werbespot – sie ist ein kleines Lehrstück darüber, wie Marken im digitalisierten 21. Jahrhundert um Aufmerksamkeit kämpfen müssen. Mit einer ungewöhnlichen Mischung aus Spannung, Humor und technischer Finesse gelingt es, nicht nur die Qualitäten des Fahrzeugs zu demonstrieren, sondern auch das Markenimage zu schärfen.
Die zentrale Erkenntnis: Auch wenn das visuelle Spektakel beeindruckt, sind es die unerwarteten Wendungen und emotionalen Nuancen, die einen Werbespot unvergesslich machen. Oder wie es ein fiktiver CGI-Bär ausdrücken würde, während er atemlos einem Citroën C3 hinterherjagt: "Ich will nicht ohne deine Liebe leben – aber ein bisschen mehr Höchstgeschwindigkeit wäre auch nicht schlecht gewesen."