Perth, Australien, 2007. Eine 19-jährige Studentin sitzt frustriert vor einem Computer und versucht verzweifelt, Kommiliton:innen beizubringen, wie man in Photoshop ein einfaches Jahrbuch-Layout erstellt. Die Software kostet ein Vermögen, die Lernkurve ist brutal, und die Studierenden kämpfen mit Ebenen, Masken und Werkzeugen, die selbst Profis ins Schwitzen bringen.

Melanie Perkins hatte in diesem Moment eine Erkenntnis, die die Design-Welt für immer verändern sollte: "Was wäre, wenn Design so einfach wäre wie ein Word-Dokument?"

Heute, 18 Jahre später, nutzen 240 Millionen Menschen monatlich ihre Lösung. Canva ist $42 Milliarden wert, generiert über $3 Milliarden Jahresumsatz und hat etwas geschafft, das für unmöglich gehalten wurde: 95% der Fortune 500 Unternehmen nutzen das Tool, das einst als "zu simpel für Profis" belächelt wurde.

Aber der Weg dorthin? Eine Achterbahnfahrt durch 100 Investoren-Absagen, zwei Jahre Entwicklungshölle ohne ein einziges neues Feature und unzählige Momente, in denen alles kurz vor dem Scheitern stand.

Wann hast du das letzte Mal stundenlang an einem simplen Design verzweifelt?


Was ist "Column B Thinking" – und warum scheitern die meisten daran?

Melanie Perkins nennt ihren Erfolgsansatz "Column B Thinking". Die Idee dahinter ist radikal einfach – und genau deshalb so schwer umzusetzen:

Column A ist das, was du heute hast: Die Ressourcen, Skills, Kontakte und Möglichkeiten, die dir gerade zur Verfügung stehen. Die meisten Gründer:innen bauen ihr Startup aus Column A. Sie fragen: "Was kann ich mit dem machen, was ich habe?"

Column B ist die unmögliche Vision: Die Zukunft, wie du sie dir erträumst, ohne Rücksicht auf aktuelle Limitierungen. Perkins fragte sich nicht "Wie kann ich mit meinen Mitteln ein besseres Yearbook-Tool bauen?", sondern "Wie sieht die perfekte Design-Welt in 20 Jahren aus?"

Die Antwort: Eine Welt, in der jeder Mensch professionelle Designs erstellen kann – ohne Photoshop-Studium, ohne teure Adobe-Lizenzen, ohne Frustration.

Das Problem mit Column B Thinking? Niemand glaubt dir.

Perkins pitchte ihre Vision 2008-2010 vor über 100 Investoren im Silicon Valley. Die Antwort war jedes Mal die gleiche: "Nette Idee, aber Adobe ist zu dominant. Design-Demokratisierung klingt gut, funktioniert aber nicht. Komm wieder, wenn du Traktion hast."

2 Jahre ohne ein einziges neues Feature

2015 hatte Canva bereits Millionen User. Das Produkt funktionierte, die Nutzer:innen liebten es. Doch hinter den Kulissen brodelte eine Katastrophe: Der ursprüngliche Code war nicht für diese Skalierung gebaut. Das gesamte technische Fundament drohte unter der Last zusammenzubrechen.

Die Entscheidung, die Perkins treffen musste, war brutal: Kompletter Code-Rewrite. Zwei Jahre. Keine neuen Features.

In der Tech-Welt ist das ein Todesurteil. User erwarten ständig neue Funktionen. Konkurrenten schlafen nicht. Investoren verlieren die Geduld. Doch Perkins hielt durch.

"Es war die härteste Zeit meines Lebens", erzählte sie später in Interviews. "Jeden Tag kamen Anfragen nach neuen Features. Jeden Tag mussten wir 'Nein' sagen. Zwei Jahre lang."

Das Ergebnis? Ein technisches Fundament, das heute 38,5 Millionen Designs täglich verarbeitet, in 190 Ländern läuft und selbst Enterprise-Kunden wie Google, Netflix und Amazon standhält.

Die Zahlen geben ihr recht: Seit dem Rewrite wuchs Canva von 4 Millionen auf 240 Millionen monatliche User – eine Steigerung um 6.000%.

Wie man Adobe herausfordert – ohne Adobe zu werden

Die Strategie war von Anfang an klar: Nicht besser als Adobe werden. Anders werden.

Adobe Photoshop kostet etwa €300 pro Jahr. Es ist komplex, mächtig und für Profis gebaut. Canva startete mit Freemium – die Basis-Version kostenlos, Premium-Features für €13 pro Monat.

Adobe hat 41% Marktanteil bei Grafikdesign-Software. Canva "nur" 13%. Doch hier kommt der Clou: Canva hat 46% Marktanteil im Präsentations-Markt – mehr als PowerPoint (23%) und Prezi (5%) zusammen.

Die Strategie? Horizontal statt vertikal.

Während Adobe seine Tools in die Tiefe entwickelt (Photoshop für Fotos, Illustrator für Vektoren, InDesign für Layout), baut Canva horizontal: Ein Tool für alles. Social Media Posts, Präsentationen, Lebensläufe, Newsletter, Websites, jetzt sogar Coding und Spreadsheets mit AI-Integration.

2024 kündigte Canva "Canva Sheets" an – ein direkter Angriff auf Google Sheets, aber mit visueller AI: Du beschreibst in natürlicher Sprache, welche Visualisierung du willst, und Canva generiert tausende Bilder in einem Spreadsheet.

Die Message ist klar: Canva will nicht der neue Adobe sein. Canva will das neue Microsoft Office werden – aber für die Visual Generation.

Die unbequeme Wahrheit über AI und Design-Jobs

Aber es gibt auch Schattenseiten. Kurz vor der Ankündigung der neuen AI-Tools entließ Canva 10 von 12 technischen Redakteuren. Der Grund? KI kann die Arbeit jetzt übernehmen.

Perkins selbst räumt ein: "Jede einzelne Person wird sich in diese neue Ära weiterbilden müssen."

Das ist die brutale Realität der AI-Revolution im Kreativbereich: Die Tools werden demokratischer, einfacher, mächtiger – aber viele traditionelle Jobs verschwinden.

Phil Roosen sieht das differenziert: "Die Frage ist nicht, ob AI Design-Jobs ersetzt. Die Frage ist, wer sich schnell genug anpasst. Bei der digitalworld Academy sehen wir jeden Tag: Die Designer:innen, die AI als Werkzeug begreifen, werden zehnmal produktiver. Die, die AI ignorieren, werden ersetzt – nicht durch AI, sondern durch Menschen, die AI nutzen."

Die Zahlen sprechen für sich: Canva hat heute über 5.000 Mitarbeiter (genannt "Canvanauts") – eine Steigerung um 150% seit 2021. Trotz AI. Die Jobs ändern sich, sie werden anders.

Was du von 100 Absagen lernen kannst

Zurück zum Anfang: 100 Investoren sagten Nein. Wie geht man damit um?

Perkins' Strategie war simpel: Jede Absage ist kostenlose Beratung.

Nach jedem gescheiterten Pitch fragte sie: "Was genau hat Sie nicht überzeugt?" Sie sammelte das Feedback, verfeinerte ihren Pitch, versuchte es beim nächsten Investor erneut.

Bis 2011, als sie Bill Tai traf – einen legendären Investor, der früh in Zoom und Wish.com investiert hatte. Tai lud sie zu einem Kitesurfing-Retreat ein (ja, wirklich). Dort traf sie Lars Rasmussen, den Mitgründer von Google Maps, der später Canvas Tech-Advisor wurde.

Die erste Finanzierungsrunde 2013: $3 Millionen. Heute ist Canva $42 Milliarden wert.

Die Moral? Nicht jedes Nein ist endgültig. Manchmal brauchst du nur 100 Neins, um das eine Ja zu finden.

Die Frage, die du dir heute stellen solltest

Melanie Perkins ist heute Milliardärin. Ihr Vermögen wird auf $3,6 Milliarden geschätzt. Doch sie hat bereits angekündigt, über 80% ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden.

Canva's IPO wird für 2026 erwartet. Die Employee-Share-Sale im August 2025 machte hunderte Canva-Mitarbeiter:innen über Nacht zu Millionär:innen.

Aber die wichtigste Frage ist nicht, wie reich Perkins wird. Die wichtigste Frage ist: Was ist dein Column B?

Was ist die unmögliche Vision, für die es sich lohnt, 100 Absagen zu kassieren? Zwei Jahre Stillstand zu ertragen? Gegen die größten Player der Branche anzutreten?

Bist du bereit für die Zukunft?

Falls nicht: Die digitalworld Academy hilft dir dabei – mit Kursen zu KI Management, Digital Marketing und allem, was du brauchst, um dein eigenes Canva zu bauen. 🚀


Quellen:

  1. Lenny's Newsletter: "The Making of Canva" - https://www.lennysnewsletter.com/p/the-making-of-canva
  2. Leaders in Heels: "Canva – ein 26 Billionen US Dollar Startup" - https://leaders-in-heels.com/canva-ein-26-billionen-us-dollar-startup-und-von-einer-frau-gegruendet/
  3. Whop Blog: "70+ Canva statistics for 2025" - https://whop.com/blog/canva-statistics/
  4. Fortune: "Canva's billionaire founders are minting overnight millionaires" - https://fortune.com/2025/08/22/canva-billionaire-founders-minting-overnight-millionaires-employee-share-sale/
  5. CNBC: "Canva: 2025 CNBC Disruptor 50" - https://www.cnbc.com/2025/06/10/canva-cnbc-disruptor-50.html
  6. Yahoo Finance: "$3 billion-in-revenue Canva is the most valuable unicorn founded by a woman" - https://finance.yahoo.com/news/3-billion-revenue-canva-most-130202166.html
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